Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1
Eine einheitliche, in einer Bestimmung zusammengefasste Regelung der "Nebenfolgen" sieht die AO erst seit dem 2. AO-StrafÄndG 1968 vor. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die einzelnen Maßnahmen in mehreren Einzelvorschriften verstreut.
Eine Regelung, wie sie § 375 Abs. 1 AO heute vorsieht, bestand nur für § 412 RAO a.F. (Bruch des Steuergeheimnisses, § 412 Abs. 2 RAO). § 400 RAO 1931 (= § 364 RAO 1919) bestimmte, dass neben einer Gefängnisstrafe von mindestens drei Monaten auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden konnte. Wegen ihrer für den Resozialisierungsgedanken abträglichen Wirkungen hat der Gesetzgeber diese Regelung durch § 401 Abs. 1 RAO (heute § 375 Abs. 1 AO) ersetzt (Art. 1 Nr. 14 2. AO-StrafÄndG 1968). Bereits vorher war aus dem gleichen Grund § 399 RAO 1931, der die öffentliche Bekanntmachung von Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung vorsah, ersatzlos gestrichen worden.
Die heutige, ebenfalls seit dem 2. AO-StrafÄndG 1968 geltende Fassung des § 375 Abs. 2 AO ist das Ergebnis einer sehr wechselvollen Entstehungsgeschichte. Ursprünglich in § 401 RAO 1931 (= § 365 RAO 1919) geregelt, fanden sich die einschlägigen Bestimmungen seit dem StrafÄndG 1961 vom 13.7.1961 in den §§ 414–414b RAO.
Im Jahr 1974 wurde der Bruch des Steuergeheimnisses (§ 355 StGB) als Katalogtat gestrichen, der Bannbruch wurde auf die Fälle nach § 372 Abs. 2 und 373 AO beschränkt und schließlich die Begünstigung zu Anknüpfungstaten nach § 375 Abs. 1 Nr. 1–3 AO neu aufgenommen.
Das StÄndG 2001 ersetzte zum 1.1.2002 den Begriff "Zoll" durch die Begrifflichkeit "Einfuhr- und Ausfuhrabgaben im Sinne des Artikels 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex".
§ 375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO wurde mit Wirkung vom 1.5.2016 geändert durch Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22.12.2014.
Rz. 1.1
Mit der grundlegenden Neuregelung der Rechtsinstitute der Einziehung und des Verfalls im allgemeinen Strafrecht durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017 ist zwar § 375 Abs. 2 AO nicht unmittelbar, wohl aber die in Bezug genommenen Vorschriften der §§ 73 ff. StGB nicht nur terminologisch, sondern auch inhaltlich erheblich geändert worden (eingehend dazu s. § 370 Rz. 1130.2 ff.; § 399 Rz. 302 ff. sowie § 401 Rz. 2).
Die nun sog. "Einziehung von Tatprodukten, -mitteln und -objekten" (§ 74 StGB) entspricht der früheren Regelung des § 74 StGB, also der bisherigen "Einziehung". Die bisherige Differenzierung zwischen "Verfall" (nunmehr "Einziehung von Taterträgen", § 73 StGB) und "Einziehung" nach altem Recht bleibt in der Sache bestehen, auch wenn der Gesetzgeber nun eine einheitliche Terminologie ("Einziehung") gebraucht.
Rz. 1.2
Infolge der Neuregelung der Vermögensabschöpfung ergaben sich etliche ungeklärte Fragen zum zeitlichen Anwendungsbereich der neuen Einziehungsvorschriften und zu den Übergangsregelungen (vgl. Art. 316h, 316f EGStGB). Siehe dazu näher Rz. 75, 81 sowie § 375a Rz. 26 ff.
Das Verhältnis zur strafrechtlichen Einziehung verjährter Steueransprüche regelte zwischenzeitlich § 375a AO a.F., eingefügt mit Wirkung vom 1.7.2020 durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29.6.2020 (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz), aufgehoben mit Wirkung vom 30.12.2020 durch JStG 2020 vom 21.12.2020 und ersetzt durch § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB, der nun die Einziehung sämtlicher durch Verjährung erloschener Ansprüche erfasst. Zu den gesetzgeberischen Gründen s. näher die Erl. zu § 375a Rz. 1 ff. sowie § 399 Rz. 316 ff. und nachstehend Rz. 81.