I. Entstehungsgeschichte
Rz. 1
Die Gefährdung von Abzugsteuern war früher in § 413 Abs. 1 Nr. 1a RAO geregelt und als Vergehen mit Geldstrafe bedroht. Durch das 2. AOStrafÄndG wurde die Vorschrift als Ordnungswidrigkeit in § 406 RAO 1968 überführt (s. Vor § 377 Rz. 3). Seither kann – im Gegensatz zur Vorgängerregelung unstreitig – auch die bloße schuldhafte Versäumung eines Zahlungstermins im Abzugsteuerverfahren geahndet werden. Gleichzeitig wurden die Anforderungen an die subjektive Tatseite verschärft, da seitdem nur noch vorsätzliches oder leichtfertiges Handeln mit Geldbuße bedroht ist.
Rz. 2
Die Regelung wurde sodann – von einigen redaktionellen Klarstellungen abgesehen – wörtlich in § 380 AO 1977 übernommen. Durch die Einfügung des Wortes "nicht" in Abs. 1 steht seither fest, dass der Tatbestand nicht nur bei der nicht vollständigen oder nicht rechtzeitigen Einbehaltung bzw. Abführung erfüllt ist, sondern auch, wenn der Täter überhaupt nicht tätig wird. Das Tatbestandsmerkmal "einzubehalten" ist nicht gestrichen worden, da § 380 AO eine Doppelverpflichtung enthalte, die bereits verletzt sei, wenn nur eine der beiden Verpflichtungen nicht erfüllt werde (s. Rz. 31 ff.).
Rz. 2.1
Mittlerweile wurde das Höchstmaß der Geldbuße – auch mit Blick auf die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse – von 10.000 DM auf 50.000 DM bzw. 25.000 EUR angehoben und geht auffallend über den Bußgeldrahmen der §§ 381, 382 AO hinaus.
II. Bedeutung und Anwendungsbereich der Vorschrift
Rz. 3
Zweck der Bußgeldregelung in § 380 AO ist es, die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten, die im Rahmen des Steuerabzugsverfahrens dritten Personen bzgl. fremder Steuerschulden (dazu sogleich) obliegen, sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat aus Gründen der Vereinfachung, Beschleunigung und Sicherstellung der Steuererhebung in einigen praktisch häufigen Fällen eine Besteuerung an der Quelle durch Steuerabzug (sog. Quellensteuereinbehalt) bei demjenigen vorgesehen, der dem eigentlichen Steuerschuldner steuerpflichtige Einnahmen zuwendet. Dem Erbringer der steuerpflichtigen Leistung ist dabei im öffentlichen Interesse die Pflicht auferlegt, den FinB (Abzugs-)Steueransprüche rechtzeitig bekannt zu geben, von der Leistung für Rechnung des Steuerschuldners die Abzugsbeträge einzubehalten und fristgerecht an die FinB abzuführen, mithin fremde Steuerschulden ordnungsgemäß zu tilgen. Die mit der Durchführung des Steuerabzugsverfahrens verbundene Auferlegung öffentlicher Aufgaben auf Private ist verfassungsgemäß und europarechtskonform.
Rz. 4
Vor diesem Hintergrund wird mit § 380 AO die Verletzung der "quasi treuhänderischen" Verpflichtung dritter Personen bzgl. fremder Steuerschulden als eigenständiges, der strafbaren Untreue (§ 266 StGB) ähnliches Handlungsunrecht sanktioniert. Dieser besondere Schutz ist gerechtfertigt, steht doch derjenige, der verpflichtet ist, fremde Steuern einzubehalten und abzuführen, in einem gewissen Treueverhältnis sowohl zum eigentlichen Steuerschuldner als auch zur FinB. Schließlich hängt von der vorschriftsmäßigen Abführung der Abzugsbeträge auch ab, ob der Steuerschuldner von seiner Steuerschuld befreit wird.
Führt der Täter (nur) eigene Steuern nicht ab, greift § 380 AO nicht ein. Die Nichtzahlung einer (selbst)geschuldeten Steuer ist auch nicht vom Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO erfasst, sondern nur von Sonderregelungen wie in den § 26a Abs. 1, § 26c UStG, die – wie grds. auch § 380 AO – die reine Nichtzahlung einer Steuerschuld unter Sanktionsandrohung stellen.
Zu § 26a und § 26b UStG: Die Bußgeldvorschrift des § 26b UStG (Schädigung des Umsatzsteueraufkommens) wurde durch das JStG 2020 mit Wirkung vom 1.7.2021 aufgehoben. Zugleich wurde die alte Regelung – erheblich erweitert – als neuer Abs. 1 in die Bußgeldvorschrift des § 26a UStG aufgenommen. Danach handelt u.a. ordnungswidrig, wer entgegen der ebenfalls neu aufgenommen ausdrücklichen Entrichtungsgebote der § 18 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 Satz 1 oder 2, Abs. 4c Satz 2, Abs. 4e Satz 4 oder Abs. 5a Satz 4, § 18i Abs. 3 Satz 3, § 18j Abs. 4 Satz 3 oder § 18k Abs. 4 Satz 3 ...