I. Mehrfache Gefährdung der Abzugsteuern
Rz. 55
Die Häufung von Tatbestandsalternativen in § 380 AO (Einbehaltungs- und Abführungspflicht) führt zu der Frage, wie sich die verschiedenen Alternativen zueinander verhalten, wenn der Täter mehrere von ihnen verwirklicht.
Werden die Steuerbeträge nicht rechtzeitig einbehalten, so ist damit die Tat des § 380 AO bereits vollendet. Das notwendigerweise nachfolgende Nichtabführen der nicht einbehaltenen Beträge bildet mit dem Nichteinbehalten eine einzige Tat. Beide Pflichtverletzungen hindern dann den fristgemäßen Eingang der geschuldeten Abzugsbeträge bei der FinB.
Rz. 55.1
Zweifelhaft erscheint aber, ob dies auch gilt, wenn die Tatbestandsalternativen sich auf unterschiedlich hohe Geldbeträge beziehen oder unterschiedliche Schuldformen gegeben sind, d.h. dem Täter hinsichtlich der einen Handlung Leichtfertigkeit, hinsichtlich der anderen Vorsatz zur Last fällt.
Beispiel
Ein Unternehmer berechnet leichtfertig die Höhe der Lohnsteuer falsch und behält deshalb zu niedrige Lohnsteuerbeträge ein. Kurz vor dem Abführungstermin bietet sich ihm der Abschluss eines Geschäfts, für das er kurzfristig sein ganzes Barvermögen benötigt. Er schließt das Geschäft ab, weil er meint, er könne die Lohnsteuer auch ein halbes Jahr später entrichten.
Durch das auf der falschen Berechnung beruhende leichtfertige teilweise Nichteinbehalten wird die erste Tatbestandsalternative des § 380 AO verwirklicht. Daneben tritt das auf einem neuen Entschluss beruhende vorsätzliche Nichtabführen der einbehaltenen Lohnsteuerbeträge.
Beim Wechsel der Schuldformen liegt zwischen beiden Tatbestandsalternativen, im Beispiel also dem leichtfertigen teilweisen Nichteinbehalten und dem vorsätzlichen Nichtabführen der einbehaltenen Lohnsteuerbeträge, Tatmehrheit (§ 20 OWiG) vor.
Rz. 55.2
Bei wiederholten vorsätzlichen Pflichtverstößen scheidet die Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs ebenso wie die einer Dauerordnungswidrigkeit bei andauerndem leichtfertigem Verhalten aus (s. § 377 Rz. 149 und § 378 Rz. 154 ff.).
II. Zusammentreffen mit den §§ 370, 378 AO
Rz. 56
Vgl. zunächst die Ausführungen in Rz. 5.1 f. Folgende Konstellationen sind für das Verhältnis der §§ 370, 378 zu § 380 AO denkbar:
Hat der Täter, der objektiv und subjektiv die in § 380 AO bezeichneten Pflichten verletzt, gleichzeitig die FinB über das Entstehen und die Höhe des Steueranspruchs vorsätzlich in Unkenntnis gelassen (indem er die Abzugsteuer nicht bzw. unzutreffend anmeldet), so ist die gesamte Tat nur als Steuerhinterziehung gem. § 370 AO zu bestrafen.
Beispiel
Der Arbeitgeber A behält bei Lohnzahlungen die vom Arbeitnehmer geschuldete Lohnsteuer nicht rechtzeitig ein und führt sie nicht ab. Auch seiner gem. § 41a EStG bestehenden Verpflichtung zur Lohnsteueranmeldung kommt er vorsätzlich nicht nach.
Das Verhalten des A ist ausschließlich als Lohnsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ahnden. Der in Gesetzeseinheit mitverwirklichte Tatbestand der Lohnsteuergefährdung gem. § 380 AO tritt subsidiär zurück.
Rz. 57
Wenn die Tathandlung als leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) geahndet werden kann, tritt § 380 AO aufgrund der ausdrücklichen Subsidiaritätsklausel des § 380 Abs. 2 AO ebenfalls zurück.
Beispiel
A hat die Lohnsteuer für seine Angestellten leichtfertig nicht rechtzeitig angemeldet und vorsätzlich nicht abgeführt. Die Zuwiderhandlung des A wird allein nach § 378 AO geahndet; § 380 AO tritt als subsidiär zurück.
Rz. 58
Anwendung findet die Bußgeldnorm dann, wenn die Verfahren wegen §§ 370, 378 AO aus Opportunitätsgründen (vgl. § 398 AO, §§ 153, 153a StPO, § 47 OWiG) eingestellt werden. Eigenständige Bedeutung erlangt § 380 AO auch dann, wenn der Abzugspflichtige die Steuern ordnungsgemäß angemeldet, d.h. die FinB über das Bestehen der Steueransprüche nicht im Unklaren gelassen hat, die Abzugsbeträge aber nicht an die Finanzkasse abgeführt hat (s. Rz. 5.1).
Beispiel
A behält aus dem Arbeitsentgelt seiner Angestellten die Lohnsteuerbeträge ordnungsgemäß ein und meldet sie auch richtig beim FA an. Am gesetzlichen Zahlungstermin führt er die einbehaltenen Abzugsbeträge aber nicht ab, sondern verwendet sie für andere Betriebsschulden.
Rz. 59
Die Gefährdung der Abzugsteuern kann auch neben einem Verkürzungsdelikt nach §§ 370, 378 AO verwirklicht und geahndet werden.
Beispiel
A hat die Lohnsteueranmeldungen ordnungsgemäß abgegeben, wegen Liquiditätsschwierigkeiten die einbehaltenen Steuerbeträge aber nicht rechtzeitig abgeführt. Im Beitreibungsverfahren erschleicht A durch falsche Angaben...