Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
aa) Beschlagnahmeschutz gem. § 97 StPO
Rz. 962
Äußerst kontrovers wird bis zum heutigen Tag in Rspr. und Literatur die Frage diskutiert, ob Buchführungs- und Geschäftsunterlagen, die der Mandant seinem steuerlichen Berater (z.B. Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigtem Buchprüfer sowie deren Berufshelfer) zur Erstellung von Steuererklärungen und Bilanzen übergeben hat (§ 97 Abs. 2 Satz 1 StPO), bei dem vorbezeichneten Personenkreis (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO) beschlagnahmt werden dürfen (grdl. zum Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO s. Rz. 334 ff.). Dieses Problem ist von erheblicher praktischer Bedeutung, da sich die für die Anfertigung der Buchführung und Abschlüsse erforderlichen Belege, Geschäfts- und Buchhaltungsunterlagen regelmäßig in der Hand des steuerlichen Beraters befinden, ja mit zunehmender Datenverarbeitung die Buchhaltung des Kaufmanns vom Steuerberater extern geführt wird. Die Sicherstellung dieser Unterlagen als Beweismittel im Ermittlungsverfahren gegen den beschuldigten Mandanten bedeutet für die Steufa eine erhebliche Erleichterung ihrer Ermittlungsarbeit, findet sie doch die beweiserheblichen Unterlagen aufbereitet und in vorgeordneter Form vor, womöglich mit entsprechenden Notizen und Anmerkungen des Steuerberaters versehen. Es muss daher nicht verwundern, dass die Steufa in der Praxis gerade in diesem Bereich von ihren Zwangsbefugnissen exzessiven Gebrauch macht. Dass eine solche Vorgehensweise ausgesprochen negative Auswirkungen sowohl für den Mandanten als auch in Besonderheit für den steuerlichen Berater hat – bedenkt man den schwerwiegenden Eingriff in sein Recht auf Berufsausübung und den etwaigen zu befürchtenden Vertrauensverlust gegenüber seiner sonstigen Mandantschaft –, ist nicht von der Hand zu weisen und wirft die Frage nach der Zulässigkeit solcher Zwangsmaßnahmen auf.
(1) Verwaltungsansicht
Rz. 963
Für die Steufa scheint sich dieses Problem nicht zu stellen. Sie kann sich insoweit auf die die Beschlagnahme bei Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe regelnde Anweisung in Nr. 58 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 58), die nur beschlagnahmefähige von beschlagnahmefreien Gegenständen unterscheidet, berufen. Danach unterliegen folgende Gegenstände dem Beschlagnahmeverbot (§ 97 Abs. 1–4 StPO):
- Akten des Berufsgeheimnisträgers mit dem zwischen ihm und dem Beschuldigten geführten Schriftwechsel;
- seine Aufzeichnungen über Mitteilungen des Beschuldigten und andere Umstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt, sowie
- sonstige Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt.
Rz. 964
Als beschlagnahmefähig werden in der Anweisung Nr. 58 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 58) folgende Gegenstände bezeichnet:
- Gegenstände, die lediglich zum Zwecke der Aufbewahrung dem steuerlichen Berater übergeben worden sind, sowie
- Buchführungsunterlagen, Belege und Aufzeichnungen des Beschuldigten, mit dem lapidaren Hinweis, dass hinsichtlich der zuletzt genannten Beweismittel keine einheitliche Rspr. existiere.
Letztgenannte Feststellung ergibt sich bekanntlich zwangsläufig aus den gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten, die eine weitere Beschwerde (§ 310 Abs. 2 StPO) und damit eine höchstrichterliche Klärung der Streitfrage nicht vorsehen.
Rz. 965
In der Tat werden in Literatur und Rspr. unterschiedliche Auffassungen vertreten. Die Rechtsprechungskasuistik ist fast unübersehbar und uneinheitlich. Es lassen sich der besseren Übersichtlichkeit halber drei wesentliche Grundaussagen zusammenfassen:
(2) Herrschende Meinung in der Rspr.
Rz. 966
Nach überwiegender Rspr. und Teilen der Literatur sind die dem Steuerberater überlassenen Geschäfts- und Buchführungsunterlagen grds. beschlagnahmefähig.
Rz. 967
Dieser Auffassung zufolge handelt es sich bei den Buchführungsunterlagen nicht um Gegenstände i.S.d. § 97 Abs. 1 Nr. 1–3 StPO. Die Begründungen hierfür sind unterschiedlich.
Rz. 967.1
Aus dem Sinnzusammenhang der in § 97 Abs. 1 StPO aufgezählten Gegenstände ergebe sich, dass beschlagnahmefrei nur diejenigen sein sollen, die innerhalb des Vertrauensverhältnisses zwischen dem steuerlichen Berater und seinem Mandanten entstanden sind (sog. Handakten). Dies treffe aber auf die zumeist vom Mandanten selbst zusammengestellten Buchführungsunterlagen nicht zu.
Rz. 967.2
Die Buchführung betreffe auch ihrem Aussagegehalt nach nicht das Vertrauensverhältnis zwischen Steuerberater und Auftraggeber. Zur Buchführung, d.h. dem reinen geschäftsmäßigen Kontieren von Geschäftsvorfällen, sei nach den Handels- und Steuergesetzen (§§ 238 ff., 257 ff. HGB, §§ 140 ff. AO) der Kaufmann verpflichte...