Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 68
Anders als in den bisher erörterten Fällen knüpft § 388 Abs. 3 AO die Zuständigkeit der FinB hilfsweise an den gewöhnlichen Aufenthaltsort, und zwar für den Fall, dass der Beschuldigte im räumlichen Geltungsbereich der AO (s. § 370 Rz. 79.1 ff., § 377 Rz. 46) keinen Wohnsitz hat. Diese Hilfszuständigkeit besteht jedoch nur im Verhältnis zur Zuständigkeit der FinB des Wohnsitzes. Fällt diese weg, steht die Zuständigkeit des gewöhnlichen Aufenthalts gleichberechtigt neben den anderen örtlichen Zuständigkeiten.
Rz. 69
Auch für den Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" ist nicht die steuerliche Regelung des § 9 AO, sondern die allgemeine strafverfahrensrechtliche Regelung des § 8 Abs. 2 StPO maßgebend. Darunter ist der Ort zu verstehen, an dem sich der Beschuldigte freiwillig und nicht nur vorübergehend aufhält, ohne dort seinen Wohnsitz zu begründen.
Wegen dieser strafprozessualen Begriffsinterpretation spielt die Fiktion des § 9 Satz 2 AO keine Rolle.
Beispiel
Beschuldigter B, der keinen festen Wohnsitz hat, hat in X eine einjährige Haftstrafe verbüßt. Bei Zugrundelegung des § 9 Satz 2 AO hätte er damit wegen des mehr als sechsmonatigen Aufenthalts in X dort seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort i.S.d. § 388 Abs. 3 AO gehabt (so die vorst. zit. Gegenansicht). Nach hier vertretener Auffassung ist entsprechend der Interpretation im Rahmen des § 8 Abs. 2 StPO der gewöhnliche Aufenthaltsort nicht gegeben, da eine behördlich erzwungene Unterbringung hierfür nicht ausreicht.
Rz. 70
Hat der Beschuldigte weder Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich der AO, kann die finanzbehördliche Verfolgungszuständigkeit nicht mit § 388 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Abs. 3 AO begründet werden. Liegen zudem auch die Voraussetzungen des § 388 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO nicht vor, ist die StA des letzten inländischen Wohnsitzes für die Durchführung der Ermittlungen zuständig (§ 8 Abs. 1 letzter Halbs. StPO i.V.m. § 143 GVG).
Rz. 71
Bei Jugendlichen folgt aus der Sonderregelung der örtlichen Zuständigkeit des Jugendrichters in § 42 JGG keine entsprechende für die FinB.
Rz. 72
Die praktische Bedeutung dieser Hilfszuständigkeit ist nur gering. Sinn ergibt § 388 Abs. 3 AO daher nur, wenn die Wohnsitzzuständigkeit ausfällt und auch § 388 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO nicht eingreifen, so dass im Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens nur die Zuständigkeit der FinB des gewöhnlichen Aufenthaltsorts am zweckmäßigsten erscheint. Ändert sich später der Aufenthaltsort des Beschuldigten, ist entsprechend § 388 Abs. 2 Satz 1 (s. Rz. 65) auch die FinB des neuen Aufenthaltsorts zuständig.