Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 17
Der Begriff der "Tat" ist im Rahmen des § 390 Abs. 1 AO im selben, d.h. prozessualen Sinne des § 264 StPO zu verstehen, wie dies bei §§ 386, 389 AO der Fall ist (s. ausf. § 386 Rz. 95 ff.; § 389 Rz. 23). Damit ist der gesamte geschichtliche Vorgang gemeint, wie er sich nach natürlicher Lebensauffassung einheitlich darstellt.
Rz. 18
Ist das Verfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten eingeleitet worden, so ist für den Vorrang allein der Zeitpunkt und nicht die Schwere der vorgeworfenen Tat bzw. der Grad der Beteiligung maßgeblich.
Beispiel
FA A ermittelt seit April gegen S wegen Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung. FA B hat gegen S im Juni wegen desselben Tatvorgangs ein Strafverfahren wegen mittäterschaftlicher Hinterziehung eingeleitet. Vorrang gebührt gleichwohl dem FA A.
Rz. 19
Entsprechendes gilt, wenn ein FA zunächst mangels Tatverdächtigem ein Ermittlungsverfahren gegen "Unbekannt" eingeleitet hat und später in derselben Sache ein anderes FA gegen einen bestimmten Beschuldigten ermittelt. Da auch im ersten Fall eine Verfahrenseinleitung i.S.d. § 397 Abs. 1 AO vorliegt (s. § 397 Rz. 8.4), genießt das zuerst tätig gewordene FA Vorrang.
Rz. 20
In den vorbezeichneten Fällen kann aber ggf. aus Zweckmäßigkeitsgründen gem. § 390 Abs. 2 AO eine abweichende Zuständigkeit zwischen den Behörden vereinbart werden, wenn die Ermittlungen unterschiedlich weit fortgeschritten sind.