Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 21
§ 390 Abs. 2 AO eröffnet – abweichend von dem Prioritätsprinzip des Abs. 1 – die Möglichkeit, dass auf Ersuchen der nach Abs. 1 an sich zuständigen FinB eine andere – ebenfalls sachlich und örtlich zuständige – FinB die Strafsache übernimmt. Das Gesetz macht dies aber davon abhängig, dass die Übernahme der Ermittlungen sachdienlich erscheint, damit Übernahmeersuchen aus unsachlichen Gründen unterbleiben. Ein Übernahmeersuchen kann auch dann noch erfolgen, wenn die StA das Verfahren führt.
Rz. 22
Sachdienliche Gründe sind z.B. Zeit-, Reise-, allgemeine Kostenersparnis oder auch eine einfachere Beweiserhebung. Die Sachdienlichkeit richtet sich nach den Umständen der Ermittlung und liegt allgemein vor, wenn bei Berücksichtigung aller Möglichkeiten und Umstände die Ermittlungen durch die ersuchte Behörde besser oder leichter geführt werden können.
Beispiel
Im Rahmen einer Außenprüfung bei S in Köln werden Unterlagen beschlagnahmt, die auf umfangreiche Steuerhinterziehungen seines Lieferanten L, der in München ansässig ist, hindeuten. Hier ist es sachdienlich, dass die Ermittlungen gegen L von dem für diesen sachlich zuständigen FA in München weitergeführt werden.
Allerdings kann die Sachdienlichkeit von der ersuchenden Behörde nur ex ante beurteilt werden, zudem müssen schutzwürdige Belange des Beschuldigten berücksichtigt werden.
Rz. 23
Die ersuchte FinB ist zur Übernahme der Sache verpflichtet ("hat zu übernehmen"), wenn dies für die Ermittlungen sachdienlich ist. Zunächst überprüft dabei die nach Abs. 1 zuständige FinB die Sachdienlichkeit der Übernahme und stellt bei positivem Ergebnis das Ersuchen. Diesem soll ein Vermerk beigefügt sein, aus dem die Sachdienlichkeit der Übernahme hervorgeht. Sodann überprüft die ersuchte FinB ihrerseits das Vorliegen der Übernahmegründe nach pflichtgemäßem Ermessen.
Rz. 24
Übernimmt die ersuchte FinB die Strafsache, geht die Zuständigkeit auf sie über und die der ersuchenden FinB erlischt. Eine Rückgabe an die ersuchende Behörde oder ein weiteres Übernahmeersuchen ihrerseits an eine dritte zuständige FinB ist ausgeschlossen. Durch § 390 Abs. 2 AO soll ja gerade vermieden werden, dass das Verfahren durch unnötige Ermittlungen und doppelten Verwaltungsaufwand verzögert wird. Das Gesetz beschränkt deshalb die Möglichkeit des Zuständigkeitswechsels ausschließlich auf den Fall des Erstrangverzichts und beugt damit Verfahrensverzögerungen durch Hin- und Herschieben eines Verfahrens vor. Dies bedeutet, dass durch eine Übernahme zugleich auch die Ermittlungsbefugnis der übrigen zuständigen FinB ausgeschlossen ist. Der ersuchten Behörde bleibt jedoch das Recht zur Abgabe an die StA gem. § 386 Abs. 4 Satz 1 AO.
Rz. 25
Verweigert die ersuchte FinB die Übernahme, weil sie dies nach pflichtgemäßem Ermessen (s. Rz. 23) nicht für sachdienlich hält – dies ist auch die allein zulässige Begründung –, kann, soweit nicht die vorgesetzte Behörde eingeschaltet wird (s. Rz. 27 ff.), die ersuchende FinB ihr Übernahmebegehren an eine weitere, ebenfalls zuständige FinB richten, wenn dies zweckmäßig erscheint. Selbstverständlich kann sie die Untersuchungen auch selbst weiterführen.
Rz. 26
Sollte sich bei der Durchführung der weiteren Ermittlungen herausstellen, dass die Abgabe wegen eines sachdienlichen Grundes erneut geboten oder erforderlich ist, kann die FinB, die den Vorrang hat, ein erneutes Übernahmeersuchen sowohl an die ursprünglich bereits angesprochene FinB als auch an eine andere FinB richten.