Schrifttum:
Beulke, Verbot der gemeinschaftlichen Verteidigung nur bei konkreter Interessenkollision?, NStZ 1986, 198; Krekeler, Das Verbot der Mehrfachverteidigung gemäß § 146 StPO und seine extensive Auslegung durch die Rechtsprechung, AnwBl. 1981, 5; E. Müller, Das Verbot der Mehrfachverteidigung und die Selbstanzeige gem. § 371 AO, in FS Kühne, 2013, S. 437; Rebmann, Das Verbot der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO, NStZ 1981, 41; Stoffers, Einführung eines "Krisenmanagements" bei Unternehmen im Hinblick auf mögliche Strafverfahren, wistra 2009, 379; Streck, Probleme der gemeinschaftlichen Verteidigung (§ 146 StPO) in Steuerstrafsachen, MDR 1978, 893.
Rz. 171
Die gemeinsame Verteidigung mehrerer Beschuldigter ist nach § 146 StPO generell ausgeschlossen. Dadurch soll eine Interessenkollision, die bei gemeinschaftlicher Verteidigung mehrerer Beschuldigter in aller Regel gegeben sei, von vornherein vermieden werden und die auch im öffentlichen Interesse liegende Beistandsfunktion des Verteidigers gewahrt bleiben. Die Frage eines tatsächlich bestehenden Interessenwiderstreits ist somit unerheblich; dieser wird vielmehr unwiderleglich vermutet. Bei § 146 StPO handelt es sich somit um den Fall eines gesetzlichen Verteidigerausschlusses.
Rz. 172
Das Verbot der Mehrfachverteidigung gilt in allen Verfahrensabschnitten, also vom Ermittlungsverfahren bis zum Strafvollstreckungsverfahren, soweit noch eine nicht rechtskräftige Beschuldigung im Raum steht. Es beginnt aber zutreffender Ansicht nach nicht bereits mit der Anbahnung, sondern erst mit der Übernahme des Mandats.
Rz. 173
§ 146 StPO ist eine strafprozessuale Norm und greift daher erst ab Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Da im Zeitpunkt der Selbstanzeige in aller Regel noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, dieses jedenfalls nicht bekannt gegeben ist, kann eine Selbstanzeige auch von einem Rechtsanwalt für mehrere an der Tat beteiligte Personen abgegeben werden. Ob dies mit Blick auf die zu erwartende Einleitung von Ermittlungsverfahren sinnhaft ist, ist eine andere Frage (s. Rz. 783).
Rz. 174
Das Verbot der Mehrfachverteidigung besteht sowohl bei Tatidentität (§ 146 Satz 1 StPO) als auch bei Verfahrensidentität (§ 146 Satz 2 StPO).
Rz. 175
Wird wegen eines einheitlichen Tatkomplexes (sog. Tatidentität i.S.d. § 264 StPO, hierzu näher § 385 Rz. 1319; § 386 Rz. 95 ff.) gegen mehrere Beschuldigte ermittelt, kann ein Verteidiger nur für einen von ihnen die Verteidigung übernehmen (§ 146 Satz 1 StPO). Das gilt unabhängig davon, ob gegen die mehreren Beschuldigten ein einheitliches Verfahren oder äußerlich getrennte Verfahren betrieben werden. Zulässig wird die Verteidigung eines weiteren Beschuldigten, wenn der bisher verteidigte Beschuldigte verstirbt.
Rz. 176
Richtet sich ein Strafverfahren gegen mehrere Beschuldigte und liegt nicht bereits Tatidentität, sondern lediglich Verfahrensidentität vor, ist eine gleichzeitige Mehrfachverteidigung ebenfalls ausgeschlossen (§ 146 Satz 2 StPO), und zwar unabhängig davon, dass die Beschuldigten nicht identischer Taten verdächtig sind. Dieses Verbot greift insbesondere auch bei einer Verfahrensverbindung ein, endet in diesen Fällen allerdings wieder von selbst, wenn die Verfahren getrennt werden.
Rz. 177
§ 146 StPO verbietet nur die gleichzeitige Verteidigung. Es findet keine Anwendung auf die sukzessive Mehrfachverteidigung, d.h. Übernahme der Verteidigung eines Beschuldigten bei Tat- oder Verfahrensidentität nach Beendigung der Verteidigung eines anderen Beschuldigten oder rechtskräftiger Verurteilung. Da weder der rein intern mit-/zuarbeitende Rechtsanwalt noch der Zeugenbeistand oder der Nebenklagevertreter Verteidiger sind, ist § 146 StPO insoweit nicht anwendbar. Hingegen werden nach h.M. mit Blick auf § 428 Abs. 1 Satz 2 StPO auch Fälle der gleichzeitigen Vertretung eines Einziehungsbetroffenen neben dem Beschuldigten oder der gleichzeitigen Vertretung mehrerer Einziehungsbetroffener erfasst.
Rz. 178
Der Umstand eines möglichen Interessenwiderstreits durch eine parallele/sukzessive Vertretung von Nicht-Beschuldigten fällt nicht unter § 146 StPO, kann aber mit Blick auf § 356 StGB (Parteiverrat) relevant werden. Da der BGH auch den Tatbeteiligten als "Partei" ansieht, ist eine Mehrfachverteidigung von § 356 StGB erfasst.
Rz. 179
Eine Sockelverteidigung (s. Rz. 781 ff.) bleibt aber zulässig, § 146 StPO steht dem nicht entgegen.
Rz. 180
Bei einer Rechtsanwaltssozietät können mehrere Beschuldigte bei Vorliegen entsprechender Einzelvollmachten durch die einzelnen Mitglieder der Sozietät verteidigt werden. Eine nach § 146 StPO unzulässige Mehrfachverteidigung liegt nur bei Bestellung aller Sozietätsanwälte vor, wobei allerdings wiederum eine nachträgliche Beschränkung auf jeweils einen Verteidiger zum Wegfall des...