Rz. 1
Zu den wesentlichen Garantien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens gehört, dass der Beschuldigte sich gem. § 137 StPO, der nach § 385 Abs. 1 AO selbstverständlich auch für das Steuerstrafverfahren gilt, "in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen kann". Dieser Anspruch hat expressis verbis seinen Niederschlag in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK gefunden, lässt sich aber auch aus dem Rechtsstaatsprinzip herleiten, dem das Prinzip eines fairen Prozesses immanent ist (vgl. ferner Nr. 4 Abs. 1 AStBV (St) 2023/2024; s. AStBV Rz. 4). Diese Fairness ist nur dann sichergestellt, wenn zwischen Ermittlungsbehörde und Beschuldigtem Waffengleichheit hinsichtlich der Kenntnis und Ausschöpfung der prozessualen Möglichkeiten herrscht. Der Beschuldigte muss in die Lage versetzt werden, seine prozessualen Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig – d.h. unabhängig von StA und Gericht – wahrzunehmen. Um seine Unabhängigkeit gegenüber den anderen Verfahrensbeteiligten zu wahren, kann der Beschuldigte einen sachkundigen Verteidiger hinzuziehen.
Rz. 2
§ 138 StPO regelt, welche Personen von einem Beschuldigten als Verteidiger gewählt werden können (Rz. 11 ff.). Dies sind gem. § 138 Abs. 1 StPO nur Rechtsanwälte sowie Rechtslehrer – insbesondere Professoren – an Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland (nachfolgend: Rechtsanwälte etc.). Andere Personen können nicht frei, sondern lediglich mit gerichtlicher Genehmigung gewählt werden (§ 138 Abs. 2 Satz 1 StPO). Von diesem Genehmigungsvorbehalt macht § 392 AO eine Ausnahme und stellt Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer (nachfolgend: Steuerberater etc.) den Rechtsanwälten gleich, sofern das Ermittlungsverfahren durch die FinB selbständig geführt wird, also solange, wie die StraBu die Herrin des Verfahrens ist (Rz. 61 ff.).
Rz. 3
Das Recht der Steuerberater etc., im Steuerstrafverfahren zu verteidigen, ist Relikt der ehemals allein von den FinB geführten Verwaltungsstrafverfahren, die vom BVerfG allerdings für verfassungswidrig erklärt wurden. § 392 AO ersetzt die gem. § 138 Abs. 2 StPO erforderliche Genehmigung einer Verteidigung durch Nicht-Rechtsanwälte (vgl. § 138 Abs. 1 StPO), solange die FinB die Herrschaft über das Strafverfahren hat. Die Erweiterung des Kreises zugelassener Verteidiger lässt sich aber auch mit der besonderen steuerlichen Sachkunde, die in Steuerstrafsachen erforderlich und auf der Gegenseite vorhanden ist, i.S.d. Notwendigkeit einer Waffengleichheit rechtfertigen. Entsprechend weist §§ 1, 3 StBerG dem Steuerberater auch die Hilfeleistung in Steuerstraf- und -bußgeldsachen zu.
Rz. 4
Auch nach Übergang der Verfahrensherrschaft auf die StA oder das Gericht kommt eine Verteidigung durch Steuerberater in Betracht, doch setzt dies die Genehmigung durch das zuständige Gericht voraus (§ 392 Abs. 2 AO, § 138 Abs. 2 StPO, vgl. Rz. 81 ff.).
Rz. 5
In beiden Fällen – der des § 392 AO und der der Genehmigung gem. § 138 Abs. 2 StPO – werden mit der Verteidigung Personen betraut, deren regelmäßiger Fokus nicht die Strafverteidigung, sondern die Steuerveranlagung und ggf. noch daraus resultierende FG-Verfahren sind. Man mag darüber streiten, ob dies sinnhaft ist (vgl. Rz. 746 f., 771 ff.), jedoch sollte sich im Falle der Übernahme der Steuerberater etc. mit den Grundregeln der Verteidigung (Rz. 511 ff.) vertraut machen; dies von Anfang an.
Rz. 6
Doch auch der in Steuerstrafverfahren verteidigende Rechtsanwalt etc. muss sich besonderen Anforderungen stellen. Zwar ist auch die Verteidigung im Steuerstrafverfahren zunächst und primär Verteidigung in einer Strafsache. Allerdings – und dies ist besonders – läuft parallel dazu stets ein steuerliches Verfahren und treten dem Verteidiger zumeist andere Akteure (insbesondere Steuerfahnder) als im klassischen Strafverfahren gegenüber. Dies und die – im Kernstrafrecht nicht existierende – Möglichkeit strafbefreiender Selbstanzeige zwingen zu einer besonderen Vorgehensweise im Rahmen der Verteidigung.
Rz. 7
Besonderheiten ergeben sich also sowohl für den Rechtsanwalt etc., der als Steuerstrafverteidiger auftritt, wie auch für den Steuerberater etc., der hier ausnahmsweise das Recht (§ 392 Abs. 1 AO) hat, als Verteidiger aufzutreten. Vor diesem Hintergrund soll auch eine Herangehensweise an das steuerstrafrechtliche Mandat vermittelt werden (Rz. 511 ff.).
Rz. 8– 10
Einstweilen frei.