Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
a) Steuerpflichtiger
Rz. 78
Unzulässig ist nur die Anwendung solcher Zwangsmittel, die sich "gegen den Steuerpflichtigen" richten. Stpfl. ist gem. § 33 AO derjenige, der eine Steuer schuldet, für eine Steuer haftet oder z.B. eine Steuerklärung abzugeben hat. Dazu zählen auch der gesetzliche Vertreter gem. § 34 Abs. 1 AO, der Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO) und der Verfügungsberechtigte (§ 35 AO).
Rz. 79
Voraussetzung für die Unzulässigkeit des Zwangsmittels ist weiterhin, dass der Stpfl. (§ 33 AO bzw. der gesetzliche Vertreter, § 34 AO) gezwungen würde, sich selbst zu belasten. § 393 Abs. 1 Satz 2 AO erfasst damit die Personen, die nach § 103 AO kein Auskunftsverweigerungsrecht haben, schließt also die nach § 103 AO verbleibende Lücke.
b) Mitwirkungspflichtige Dritte
Rz. 80
Zwangsmittel gegen "Dritte" – d.h. andere Personen, denen steuerliche Mitwirkungspflichten auferlegt sind (also Beteiligte i.S.d. § 78 AO, die nicht materiell steuerpflichtig sind, sowie die für einen Beteiligten/Stpfl. Mitwirkungspflichtigen) – finden im Rahmen des § 393 Abs. 1 Satz 2 AO (im Gegensatz zu § 428 RAO) keine Erwähnung. Den Gesetzesmaterialien ist hierzu keine Begründung zu entnehmen. Daraus könnte man schließen, dass dieser Personenkreis grds. unberücksichtigt bleibt. Demgegenüber wird die Vorschrift zu Recht als lückenhaft empfunden. Tormöhlen glaubt sogar an ein Redaktionsversehen. §§ 103, 104 Abs. 1 AO schützen diese Personen nicht. Zutreffender Ansicht nach wird diese Lücke durch analoge Anwendung des § 393 Abs. 1 Satz 2 AO auf alle Personen geschlossen, die in der Gefahr der Selbstbelastung stehen.
c) Angehörige
Rz. 81
Auch einen verbotenen Zwang zur Belastung von Angehörigen (vgl. § 15 AO) schließt § 393 AO seinem Wortlaut nach nicht eindeutig aus. Damit wären Zwangsmittel zulässig, wenn der Stpfl. im Besteuerungsverfahren über Geschäfte mit Angehörigen Auskunft geben müsste, durch die diese strafrechtlich belastet würden. Denkbar ist aber auch die Konstellation, dass der Angehörige den Beschuldigten belasten müsste.
Rz. 82
Zur Rechtfertigung dieser als "rechtsstaatlich äußerst bedenklich" bezeichneten Regelung wird u.a. auf den Schutzzweck des § 393 AO sowie auf die Auskunftsverweigerungsrechte der §§ 101–104 AO verwiesen, durch die dieser Personenkreis hinreichend geschützt sei. Eine Einschränkung für die Androhung und die Anwendung von Zwangsmitteln nach §§ 328 ff. AO gegen einen Angehörigen soll dabei aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bei der Ermessensausübung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (§§ 90, 328 Abs. 2 AO) zu beachten sein.
Rz. 83
Dagegen soll a.A. nach das Zwangsmittelverbot auf Angehörige erweitert werden, da der Schutz aus §§ 101–104 AO nicht ausreichend sei.
Rz. 84
Eine Regelungslücke besteht nicht in Fällen, in denen Angehörige um Auskunft gebeten werden, da Angehörige im Besteuerungsverfahren ein generelles Auskunftsverweigerungsrecht haben, über das sie zu belehren sind (§ 101 AO). Problematisch ist aber der Fall, dass der Stpfl. – z.B. durch Auferlegung eines Zwangsgeldes – durch seine Aussage Angehörige belasten müsste. Insofern ist ein strafprozessuales Verwertungsverbot der zu Lasten des Angehörigen gemachten Angaben geeignet, die Lücke zu schließen, wobei aber wegen des verfassungsrechtlich verankerten Schutzes aus Art. 6 GG ausreichender Schutz nur gewährleistet ist, wenn es Fernwirkung entfaltet (s. dazu Rz. 175 ff.).
Rz. 85
Ob zu den geschützten Angehörigen nur enge oder auch entferntere Verwandte zählen, ist dabei im Hinblick auf § 15 AO, § 52 StPO und Art. 6 GG im Einzelnen umstritten, wobei eine extensive Auslegung des Angehörigenbegriffs vorzugswürdig ist, denn bei familiärer Beziehung ist eine Konfliktlage stets gegeben. Tormöhlen hält es wegen dieser Unsicherheiten für wünschenswert, dass der Gesetzgeber eine ausdrückliche Regelung dieser Problematik schafft.