Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 9
Das Akteneinsichtsrecht der FinB entspricht inhaltlich dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 StPO (s. dazu § 392 Rz. 391 ff.), ohne dass die Einschränkungen des § 147 Abs. 2 StPO gelten, d.h. ihr kann vor Abschluss der Ermittlungen nicht entgegengehalten werden, dass die Akteneinsicht oder Besichtigung den Untersuchungserfolg gefährde.
Rz. 10
Gegenstand der Einsichtnahme sind im Ermittlungsverfahren die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten, im Zwischen- und Hauptverfahren die Gerichtsakten (vgl. § 199 Abs. 2 Satz 2 StPO). Letztlich sind dies die Ermittlungsakten, die mit der Anklageschrift übersandt und dann vom Gericht fortgeführt werden. Sie vermitteln in aller Regel einen vollständigen Überblick über die Entstehung und den Ablauf des Verfahrens. In ihnen enthaltene Verfügungen und Beschlüsse lassen sehr oft Rückschlüsse auf die Intentionen und Überlegungen von StA bzw. Gericht zu.
Rz. 11
Da das Gesetz keine Einschränkungen enthält, ist zwingend davon auszugehen, dass die Akten insgesamt der Einsichtnahme durch die FinB unterliegen. Aus diesem Grundsatz der Aktenvollständigkeit folgt, dass eine Beschränkung auf Teile der Akten genauso unzulässig ist wie eine eventuelle vorherige Aussonderung einzelner Schriftstücke mit der Absicht, sie der Kenntnisnahme vorzuenthalten. Weiterhin vermögen behörden- bzw. gerichtsinterne Aufteilungen der Akten – etwa in Haupt- und Beiakten – nicht zur Einschränkung der vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeit der Einsichtnahme zu führen.
Rz. 12
Aktenbestandteile sind auch Spurenakten und ausgedruckte Computerausdrucke (zur Auskunft über gespeicherte Dateien vgl. §§ 483 ff., § 487 Abs. 2 StPO). Beweismittelakten mit den Originalbeweisstücken unterliegen nicht dem Akteneinsichtsrecht, aber dem Besichtigungsrecht (s. Rz. 20). Auch in beigezogene Akten sonstiger Behörden (z.B. über Vorstrafen) oder Gerichte (z.B. Zivilprozess- oder FG-Akten) ist Einsicht zu gewähren, es sei denn, es handelt sich um nach § 96 StPO gesperrte Behördenakten. Dagegen können beigezogene Akten einer fremden Behörde, die nicht Bestandteil der Verfahrensakten geworden sind, grundsätzlich nicht nach § 395 AO überlassen werden; es sei denn, die FinB weist die Zustimmung jener Behörde nach (Nr. 186 Abs. 3 Satz 2 RiStBV).
Der Umfang der Akteneinsicht (s. dazu auch § 392 Rz. 406 ff.) hat sich durch das seit 1.1.2018 geltende Recht auf Einsicht in eine – soweit schon als solche geführte – elektronische Akte (s. Rz. 1.1 sowie Rz. 19 sowie zur aktuellen Rechtslage s. § 392 Rz. 437) nicht geändert.
Rz. 13
Handakten der StA bzw. des Gerichts sind nicht Bestandteil der Akten und daher der Einsichtnahme entzogen (Nr. 186 Abs. 3 Satz 1 RiStBV).
Rz. 14
Das Gesetz spricht von der Befugnis der FinB zur Akteneinsicht. Dies bedeutet, dass keine Verpflichtung besteht. Es unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen, ob sie von der Befugnis Gebrauch macht. Es besteht allerdings ein Rechtsanspruch auf Akteneinsicht, d.h. die Gewährung steht nicht im Ermessen der StA oder des Gerichts. Irgendwelche Beschränkungen in zeitlicher Hinsicht bestehen nicht. Dies bedeutet:
Rz. 15
Die Befugnis zur Akteneinsicht entsteht mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Sie endet i.d.R. mit dem Abschluss des Steuerstrafverfahrens. Dies ist spätestens mit Beendigung des Rechtsmittelverfahrens der Fall. Dann liegen die Akten dem Gericht nicht mehr vor.
Rz. 16
Die Akteneinsicht ist wiederholbar. Dies ist sachgerecht, weil das Strafverfahren einen sich fortentwickelnden Prozess darstellt und ein legitimes Bedürfnis anzuerkennen ist, aus den Akten Informationen über den jeweiligen Stand des Verfahrens zu gewinnen. Die Akteneinsicht, die schlechthin nicht verweigert werden darf, kann also auch nicht mit der Begründung versagt werden, sie sei missbräuchlich, "weil man die Akten gerade erst eingesehen habe". Es steht im pflichtgemäßen Ermessen der FinB, wie oft sie die Akten einsieht.
Rz. 17
Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Akten zur Terminsvorbereitung unentbehrlich sind oder die Akteneinsicht zu einer unangemessenen Verzögerung des Verfahrens führen würde (vgl. Nr. 184 RiStBV). Hier gebietet es die Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten, der einen Anspruch auf beschleunigte Durchführung des gegen ihn laufenden Strafverfahrens hat, die Akteneinsicht zu verweigern oder die FinB darauf zu verweisen, die Akten in den Räumen der StA bzw. an Gerichtsstelle einzusehen. Derartige Konfliktfälle werden in der Praxis allerdings recht selten sein, weil die Ermittlungsbehörden in umfangreichen Verfahren bereits von sich aus die Akten in mehreren Stücken (Zweit- oder Drittakten) führen. Dem vom Gesetz anerkannten Informationsbedürfnis der FinB wird durch die Übersendung einer Kopie Genüge getan. Für die Übersendung der Originalakten bedarf es in diesen Fällen einer...