Rz. 18
Der weite Begriff der Maßnahme darf nicht uferlos verstanden werden. Eine Einschränkung erfolgt in § 397 Abs. 1 AO durch die Wendung, dass nur eine solche Maßnahme zur Einleitung eines Strafverfahrens führt, "die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen". Maßgeblich ist die Vornahme der ersten verdachtsüberprüfenden, willensgetragenen Maßnahme.
Der Begriff der einleitenden Maßnahme ist damit synonym zu verstehen mit dem Beginn des Strafverfahrens. Dabei wird regelmäßig eine nach außen hin wirkende Maßnahme vorliegen, aber auch innerdienstliche Anweisungen (z.B. des Behördenleiters in einer bestimmten Sache strafrechtlich zu ermitteln) sind denkbar. Nicht erforderlich ist, dass die Maßnahme und damit der Beginn der Strafverfolgung für den Beschuldigten selbst erkennbar ist (s. auch die Beispiele Rz. 27 ff.).
Rz. 18.1
Das Kriterium der "Erkennbarkeit" wurde von der Rspr. entwickelt und inhaltlich weiter konkretisiert mit dem Ziel, den Übergang steuerrechtlicher zu steuerstrafrechtlichen Ermittlungen transparent zu machen und der mitunter beobachteten Praxis der Steuerbehörden entgegenzuwirken, den Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens möglichst im Unklaren zu lassen, um sich die "Mitwirkung" des Betroffenen bei der Sachverhaltsaufklärung zu sichern.
Eine Verfahrensparallelität und teilweise Überschneidungen von Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren sind im Ausgangspunkt unvermeidlich, da die steuerstrafrechtliche Beurteilung einer Steuerverkürzung (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO) eine Bewertung des aus dem materiellen Steuerrecht folgenden Steueranspruchs voraussetzt. Gehen beide Verfahren nahtlos ineinander über und ermittelt dazu noch ein und dieselbe Stelle der Finanzverwaltung (z.B. Betriebsprüfer oder Steuerfahnder), ist die Frage, wann eine Untersuchung eingeleitet worden ist, oftmals schwer zu entscheiden. Diese Schwierigkeiten werden auch durch § 397 Abs. 1 AO nicht ausgeräumt. Solange Steuerermittlungsverfahren und Steuerstrafverfahren von derselben Behörde betrieben werden, sind Misshelligkeiten nicht zu vermeiden.
Immerhin spricht die Norm aber für einen objektivierten Ansatz, um vor allem bei doppeldeutigen Ermittlungshandlungen den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung bestimmen zu können (s. Rz. 23).
Beispiel
Bei der Überprüfung der Einkommensteuererklärung des S vermerkt der zuständige Sachbearbeiter in der Finanzamtsakte, er gehe davon aus, dass S weitere, von ihm nicht angegebene Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt habe. Deshalb sei ein Kontenabrufverfahren (§ 93b AO) erforderlich, um sodann die mit S in Geschäftsbeziehungen stehenden Kreditinstitute "gem. § 93 Abs. 1 AO" um weitere Auskünfte zu ersuchen, da andere Ermittlungen keinen Erfolg versprächen.
Der Umstand, dass die Ermittlungsmaßnahme "Auskunftsersuchen" explizit auf die steuerverfahrensrechtliche Norm des § 93 AO gestützt wird, kann nicht über deren Rechtsnatur entscheiden. Maßgeblich ist, dass der Finanzbeamte den begründeten Verdacht der Nichterklärung von Kapitaleinkünften hegt. Bereits der Aktenvermerk verdeutlicht damit – selbst wenn der Finanzbeamte dies nicht beabsichtigte – die strafrechtliche Intention des geplanten Vorgehens. Bei dem Auskunftsersuchen an die Banken handelt es sich demnach der Sache nach (auch) um strafprozessuale Zeugenvernehmungen.