Rz. 43
Die Einstellung des Verfahrens gem. § 398 AO bzw. § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO ist weiterhin davon abhängig, dass an der Strafverfolgung kein öffentliches Interesse besteht. Gegenüber den beiden vorgenannten Voraussetzungen (Geringwertigkeit der Steuerverkürzung bzw. des erlangten Steuervorteils und Geringfügigkeit der Schuld) kommt der Frage nach dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung jedoch nur eine untergeordnete Bedeutung zu.
Wann ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung gegeben ist, lässt sich ebenfalls nicht allgemeinverbindlich festlegen. Es kommt auch hier auf die Umstände des Einzelfalls an. Sie können sich bspw. aus der Person des Täters, dem Verhalten im Ermittlungsverfahren, dem Tathergang und den Belangen der Allgemeinheit ergeben. Die Gesichtspunkte, die schon bei der Beurteilung der Geringfügigkeit der Schuld eine Rolle spielten, tauchen hier unter einem anderen Vorzeichen erneut auf, wobei insbesondere spezial- und generalpräventive Gründe einer Einstellung entgegenstehen können.
Zu bejahen ist das öffentliche Interesse, wenn, aus spezial- oder generalpräventiven Überlegungen heraus, eine Fortsetzung des Verfahrens zum Zwecke der Bestrafung des Täters erforderlich ist. Es muss im konkreten Einzelfall andernfalls die Verbindlichkeit des Rechts beeinträchtigt sein.
Rz. 44
Kein öffentliches Interesse ist regelmäßig anzunehmen bei überlanger Verfahrensdauer; bei einem übermäßig großen noch zu erwartenden Ermittlungsaufwand, der im Hinblick auf den eingetretenen Steuerschaden außer Verhältnis stehen würde, sei es in sachlich-personeller Hinsicht, sei es in zeitlicher Hinsicht. Ebenso wie bei Beurteilung der geringen Schuld kann auch das nachträgliche Verhalten des Täters, insbesondere eine freiwillige und unverzügliche Nachzahlung des Steuerschadens oder ein Mitwirken an der Aufarbeitung des Sachverhalts, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigen. Die Stellung des Beschuldigten oder Verletzten in der Öffentlichkeit können für sich genommen das öffentliche Interesse nicht begründen. In Betracht kommt ferner eine Berücksichtigung des Lebensalters und des Gesundheitszustands des Beschuldigten, zwischenzeitliche Gesetzesänderungen zugunsten des Täters, die Feststellung der Verfassungswidrigkeit, wie etwa im Fall der Vermögensteuer.
Ohne Bedeutung für die Annahme eines öffentlichen Interesses ist hingegen die Höhe der zu erwartenden Geldstrafe bei Fortsetzung des Strafverfahrens. Nicht ausreichend ist das bloße Interesse der Finanz- und Strafverfolgungsbehörden an einer gerichtlichen Klärung bestimmter streitiger Rechtsfragen, ebenfalls nicht das Maß der Berichterstattung in der Presse, das allenfalls ein Indiz für ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung darstellen kann.
Rz. 45
In aller Regel wird ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nur ausnahmsweise zu bejahen sein, wenn besondere Umstände gegeben sind, die der Beurteilung in einer Hauptverhandlung bedürfen. Solche Gründe liegen etwa vor, wenn unter dem Gesichtspunkt der General- oder Spezialprävention eine Anklageerhebung zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich erscheint, namentlich bei sich häufender Tatbegehung, etwa Kleinschmuggel mit Tabakwaren oder Spirituosen oder "Verdieselung" von Heizöl. Ein öffentliches Interesse ist regelmäßig anzunehmen bei dem gewerbsmäßigen, gewaltsamen und bandenmäßigen Schmuggel nach § 373 AO und bei Vorliegen der Regelbeispiele nach § 370 Abs. 3 AO, bei Wiederholungsgefahr; u.U. kann auch eine besonders herausgehobene Stellung des Täters im öffentlichen Leben von Bedeutung sein. Entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, insbesondere wenn Umstände für eine Entkräftung des Regelbeispiels vorliegen.
Rz. 46
Ist demnach ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen, besteht jedoch noch die Möglichkeit einer Einstellung nach § 153a Abs. 1 StPO durch die StA/Finanzbehörde bzw. durch das Gericht (§ 153a Abs. 2 StPO). Nach dieser Vorschrift kann das Verfahren eingestellt werden, wenn mit der Erfüllung von Auflagen und Weisungen das öffentliche Interesse an der Verfolgung beseitigt werden kann. Erbringt der Täter die ihm auferlegten Leistungen, wird – bei nicht entgegenstehender Schwere der Schuld – das Strafverfolgungsinteresse beseitigt (s. dazu Rz. 14).