Rz. 603
Flucht und Fluchtgefahr ist im Steuerstrafrecht der wohl am häufigsten anzutreffende Haftgrund. Ein Sich-Entziehen ist anzunehmen, wenn der Beschuldigte konkret ein Verhalten zeigt, das den Erfolg hat, dass der Fortgang des Strafverfahrens dauernd oder wenigstens vorübergehend durch Aufhebung der Bereitschaft des Beschuldigten verhindert wird, für Ladungen und Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen. Hierbei genügen auch Manipulationen tatsächlicher Art, etwa wenn sich der Beschuldigte in einen Zustand der Verhandlungs- oder Vollstreckungsunfähigkeit versetzt (z.B. Nichteinnahme von Medikamenten, Beschaffung von "Gefälligkeitsattesten", übermäßiger Betäubungsmittel- oder Alkoholkonsum).
Rz. 604
Fluchtgefahr besteht, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher machen, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Dabei erfordert die Beurteilung der Fluchtgefahr die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere der Art der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat, seiner Persönlichkeit, seiner Lebensverhältnisse, seines Vorlebens und seines Verhaltens vor und nach der Tat. Hiervon zu unterscheiden sind die sog. Fluchtanreize, d.h. Umstände, die die Annahme begründen, der Beschuldigte werde diesen Anreizen auch erliegen.
Rz. 605
Schließlich kann der Fluchtverdacht nicht schon bejaht werden, wenn die äußeren Bedingungen für eine Flucht günstig sind. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Beschuldigte voraussichtlich von solchen Möglichkeiten Gebrauch machen wird.
Rz. 606
Anhaltspunkte für eine zu bejahende Fluchtgefahr können sein:
- eine hohe Straferwartung,
- kein fester Wohnsitz,
- konkrete Auslandsbeziehungen/sozialer Empfangsraum im Ausland,
- bereits getroffene Fluchtvorbereitungen,
- Transfer von Geldern.
Rz. 607
Dagegen sprechen gegen eine Fluchtgefahr folgende Umstände:
- familiäre, soziale, wirtschaftliche Bindungen,
- hohes Alter des Beschuldigten, schlechter Gesundheitszustand,
- Kautionszahlung,
- fehlende finanzielle Mittel zur Flucht,
- ausreichende finanzielle Mittel zur Schadenswiedergutmachung,
- Wohnsitz im Ausland zur Arbeitsaufnahme,
- Rückkehr von Auslandsreise trotz Kenntnis des Haftbefehls,
- unterbliebene Flucht bei Kenntnis des Strafverfahrens,
- keine Flucht trotz zu erwartender hoher Haftstrafe nach Plädoyer der Staatsanwaltschaft.
Rz. 608
Unzulässig, weil floskelhaft und ohne konkrete Begründung sind folgende Ausführungen im Haftbefehl:
"Der Beschuldigte ist nach Auflösung seines Wohnsitzes derzeit ohne festen Wohnsitz und ohne feste Bindungen und geht einer geregelten Arbeit nicht nach. Aufgrund dessen sowie der Höhe der zu erwartenden Strafe besteht mehr Wahrscheinlichkeit für die Erwartung, dass er sich dem Verfahren zu entziehen sucht, als für die Erwartung, er werde sich dem Verfahren ohne weiteres stellen."