Rz. 609
Allein der Umstand, dass jemand, ob Deutscher oder Ausländer, einen weiteren oder seinen ausschließlichen Wohnsitz im Ausland hat, begründet für sich genommen ohne weitere Anhaltspunkte, die die Annahme einer reellen Fluchtgefahr rechtfertigen, (noch) nicht die Anordnung der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für EU-Ausländer, da andernfalls ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vorliegt. Erforderlich sind stets einzelfallbezogene und konkrete Umstände, aus denen auf eine tatsächlich existierende Fluchtgefahr geschlossen werden kann. Bloße Mutmaßungen oder allgemeine Befürchtungen genügen nicht.
Rz. 610
Zur Begründung einer Fluchtgefahr bei einem im Ausland ansässigen Beschuldigten sind tatsächliche, konkrete Anhaltspunkte dafür erforderlich, dass er sich von dort an einen den Strafverfolgungsbehörden unbekannten Ort absetzen oder sich sonst dem Verfahren in Deutschland entziehen wird. Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist bei einem Beschuldigten oder ggf. bereits Angeklagten, der sich im Ausland aufhält, ohne flüchtig zu sein oder sich dort verborgen zu halten, trotz einer im Falle einer Verurteilung hohen Straferwartung nicht gegeben, wenn er – durch konkrete Tatsachen belegt – ernsthaft bereit ist, sich dem Verfahren zu stellen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen und Ladungen Folge zu leisten, sei es auch unter der Bedingung, im Falle des Erscheinens nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt zu werden.
Rz. 611
Etwas anderes gilt, wenn der Beschuldigte ausdrücklich zu erkennen gibt, dass er sich dem Verfahren nicht stellen will. Ein rein passives Verhalten genügt indes nicht (Nichtbefolgung einer staatsanwaltlichen Ladung). Auch ein Umzug oder Wegzug aus steuerlichen Gründen ins Ausland begründet für sich genommen nicht die Annahme von Fluchtgefahr, wenn sich nicht zugleich nach außen hin der Wille manifestiert, sich dem Strafverfahren auf Dauer zu entziehen. Gleiches gilt, wenn der Beschuldigte von jeher im Ausland ansässig ist, dort arbeitet und seinen Wohnsitz auch nicht aufgeben will. Andererseits kommt ggf. die Anordnung von Untersuchungshaft in Betracht, wenn der Beschuldigte nachweislich Gelder ins Ausland transferiert hat, dort über gefestigte soziale Bindungen oder Wohneigentum verfügt und/oder von dort keine Auslieferung wegen Steuerhinterziehung erfolgt (z.B. Schweiz).