Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 184
Die formelle Rechtskraft des Strafbefehls tritt ein, wenn nicht oder nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt worden ist (§ 410 Abs. 3 StPO); desgleichen dann, wenn auf den Einspruch verzichtet, dieser zurückgenommen oder verworfen wird (§ 411 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 StPO).
Gemäß § 410 Abs. 3 StPO steht der Strafbefehl mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft einem rechtskräftigen Urteil gleich, so dass nach einem rechtskräftigen Strafbefehl die StA eine erneute Verfolgung des Beschuldigten wegen derselben Tat nur im förmlichen Wiederaufnahmeverfahren nach den §§ 359 ff. StPO betreiben kann (s. aber § 373a StPO).
Die Rechtskraft eines Strafbefehls hat – wie ein Urteil – folgende Wirkungen:
- seine Vollstreckbarkeit (§ 449 StPO); Vollstreckungsbehörde ist die StA;
- den Verbrauch der Strafklage (s. § 385 Rz. 47 ff., 1315 ff.);
- Unterstellung des Strafbefehls unter das Wiederaufnahmerecht.
Rz. 185
Nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang, dass die Verurteilung in einem Strafbefehl auch dem Bundeszentralregister mitzuteilen ist (§§ 4, 20 BZRG). Dagegen werden Verurteilungen zu Geldstrafen von nicht mehr als 90 Tagessätzen und die Verwarnung mit Strafvorbehalt nicht ins Führungszeugnis aufgenommen (§ 32 Abs. 2 BZRG).
Rz. 186
Die materielle Rechtskraft und damit der Verbrauch der Strafklage unterliegt seit der Neufassung des § 410 Abs. 3 StPO durch das StVÄG 1987 keinen Einschränkungen mehr (s. Rz. 2). Damit entspricht die Rechtskraftwirkung eines Strafbefehls der eines rechtskräftigen Urteils. Der Strafklageverbrauch bezieht sich auf die Tat(en) i.S.d. § 264 StPO, die Gegenstand des Strafbefehls ist (sind).
Demzufolge kann etwa ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen Umsatzsteuerhinterziehung nicht zum Strafklageverbrauch hinsichtlich möglicherweise zeitgleicher Lohnsteuerverkürzung oder Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen führen, da zwischen diesen Taten weder Tateinheit i.S.d. § 52 StGB besteht noch eine Tat i.S.d. § 264 StPO vorliegt (s. § 370 Rz. 909 m.w.N.). Dagegen steht ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen Umsatzsteuerhinterziehung, begangen durch falsche Umsatzsteuervoranmeldungen, einer nochmaligen Ahndung der unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung für den betreffenden Veranlagungszeitraum entgegen (zur diesbezüglichen prozessualen Tatidentität s. § 370 Rz. 1371, § 385 Rz. 1340.1 m.w.N.).
Rz. 187
Eine Wiederaufnahme des durch Strafbefehl rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten ist nur nach Maßgabe der §§ 359, 362, 373a StPO zulässig (s. grdl. zum Wiederaufnahmeverfahren § 385 Rz. 840 ff.). Gemäß § 373a StPO kann – in Abweichung von § 362 StPO – ein rechtskräftiger Strafbefehl angefochten werden, wenn die Tat sich nachträglich aufgrund neu beigebrachter Tatsachen oder Beweismittel als Verbrechen darstellt.
Diese Möglichkeit scheidet im Steuerstrafverfahren aus, da sämtlich Steuerdelikte Vergehen sind.
Daher kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 373a StPO (also niemals Einleitung eines neuen Strafverfahrens!) nur dann Bedeutung zukommen, wenn die dem Strafbefehl zugrunde liegende Steuerstraftat zusammen mit einem Verbrechen außerhalb des Steuerstrafrechts (etwa nach § 22a KrWaffKontrG oder §§ 29 ff. BtMG) eine Tat im prozessualen Sinne von § 264 StPO bildet.
Die FinB kann nicht selbst die Wiederaufnahme (§ 373a StPO) des Verfahrens betreiben, denn § 400 AO dehnt ihre Zuständigkeit im gerichtlichen Verfahren nur für das Strafbefehlsverfahren aus.
Rz. 188
Rechtskraft und Strafklageverbrauch entfaltet auch der nicht antragsgemäß erlassene Strafbefehl (s. Rz. 142).
Beispiel
Entgegen dem Strafbefehlsantrag, in dem eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 25 EUR beantragt wurde, erlässt der Amtsrichter unter Verstoß gegen § 408 Abs. 3 StPO einen Strafbefehl über 90 Tagessätze à 35 EUR.
Rz. 189
Ein Strafbefehl ohne Rechtsfolgenfestsetzung ist dagegen unwirksam und steht dem Erlass eines neuen Strafbefehls in Bezug auf denselben Tatvorwurf mithin nicht entgegen.
Rz. 190
Auch ein unzulässigerweise gegen einen Jugendlichen oder gegen einen Heranwachsenden, gegen den Jugendstrafrecht anzuwenden ist (s. Rz. 36), erlassener Strafbefehl erwächst in Rechtskraft und hat den Verbrauch der Strafklage zur Folge. Im Einzelfall kann im Gnadenweg abgeholfen werden.
Rz. 191
Ergeht ein Strafbefehl, ohne dass dem Beschuldigten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens rechtliches Gehör gem. § 163a Abs. 1 StPO gewährt worden ist, ist der Strafbefehl gleichwohl wirksam und kann rechtskräftig werden.
Rz. 192
Wird im Rechtsbehelfsverfahren der Einspruch rechtsfehlerhaft nicht als unzulässig verworfen, so kann das Urteil gleichwohl unter – wenn auch rechtsfehlerhafter – Beseitigung der Rechtskraft des Strafbefehls rechtskräftig werden. Das Urteil bleibt solange wirksam, bis es im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 359 f...