Rz. 386
Im Strafverfahren steht ein Recht auf Akteneinsicht dem Verteidiger gem. § 147 Abs. 1 StPO zu (vgl. Nr. 35 Abs. 1–6 AStBV (St) 2022; s. AStBV Rz. 35; § 392 Rz. 392 ff.). Seit dem 1.1.2018 hat auch der unverteidigte Beschuldigte nach § 147 Abs. 4 StPO ein Akteneinsichtsrecht (vgl. Nr. 35 Abs. 7 AStBV (St) 2022; s. § 392 Rz. 394).
Bis zum Abschluss der Ermittlungen, also im laufenden Fahndungsverfahren, steht die Gewährung der Akteneinsicht im Ermessen der Ermittlungsbehörde (§ 147 Abs. 2 StPO). Bei Gefährdung des Untersuchungszwecks kann sie versagt werden (s. § 392 Rz. 426 ff.). Ein unumschränktes Akteneinsichtsrecht besteht gem. § 147 Abs. 1 und Abs. 2 StPO erst nach Abschluss der Ermittlungen. Diese Regelung ist verfassungsrechtlich unbedenklich.
Rz. 387
Über die Akteneinsicht entscheidet die StraBu/StA (§ 147 Abs. 5 StPO, Nr. 35 Abs. 9 AStBV (St) 2022; s. AStBV Rz. 35), nicht aber – wie in der Praxis zu beobachten – die Fahndung selbst.
Rz. 388
Die Akteneinsicht erfolgt (s. § 392 Rz. 437)
Rz. 389
Gegen die Ablehnung der beantragten Einsichtnahme ist gem. § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO ein eigener Rechtsbehelf gegeben (s. näher dazu § 392 Rz. 447 ff.).
Rz. 390
Solange das Fahndungsverfahren noch andauert, wird Einblick in die Akten, Beiakten, Beweismittelordner und sonstige Unterlagen oftmals mit einem "Standardschreiben" nicht gewährt (s. § 392 Rz. 397). Die Akteneinsicht kann jedoch spätestens erfolgen, wenn nach Abschluss der Fahndungsermittlungen die StraBu/StA das Ermittlungsverfahren übernimmt.
Rz. 391
Anschließend besteht mitunter Streit über den Umfang des Akteneinsichtsrechts.
So wird oft auch die Einsicht in das Fallheft der Steufa verweigert mit dem Hinweis darauf, es handele sich um "Dienstinterna" oder der Inhalt gehe nicht über das hinaus, was bereits aus den vorgelegten Akten bekannt sei (Nr. 35 Abs. 3 AStBV (St) 2022; s. AStBV Rz. 35). Insoweit sind ggf. rechtliche Auseinandersetzungen über den Umfang des Akteneinsichtsrechts unvermeidbar; ausführlicher s. § 392 Rz. 417 ff.). Das Akteneinsicht erstreckt sich auch auf den sog. Rot- oder Grünbogen, mithin den Aktenvermerk über straf- und bußgeldrechtliche Feststellungen, wenn das Strafverfahren aus einer Außenprüfung hervorgegangen ist (s. § 392 Rz. 409). Das Akteneinsichtsrecht besteht auch in die Akten des Betriebsprüfers (s. § 392 Rz. 417).
Rz. 392
Namentlich für Haftfälle ist aufgrund der Rspr. des BVerfG und des EGMR im Hinblick auf die Grundsätze des rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) und des fairen Verfahrens geklärt, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden darf, die dem Beschuldigten durch Akteneinsicht der Verteidigung bekannt sind. Insoweit findet sich eine ausdrückliche Regelung in § 147 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 StPO (s. § 392 Rz. 429).
Ein Akteneinsichtsrecht besteht entsprechend den Ausführungen zu den Haftsachen auch in den Fällen, in denen im Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten Zwangsmaßnahmen angeordnet wurden. Dann ist spätestens im Beschwerdeverfahren vollständige Akteneisicht zu gewähren, um eine sachgerechte Verteidigung zur Begründung eines Rechtsbehelfs ermöglichen. Dies gilt mit Sicherheit beim Vermögensarrest aber ebenfalls bei Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder Telefonüberwachungen.
Rz. 393
Das Besteuerungsverfahren der AO (§ 91 AO anders als § 29 VwVfG) kennt kein eigenständig geregeltes förmliches Akteneinsichtsrecht in die Verfahrens- und Ermittlungsakten (s. § 392 Rz. 471 ff.). Dem Stpfl. verbleibt lediglich, sich auf den Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung über seinen Akteneinsichtsantrag zu berufen.
Rz. 394
Unterschiede zum Strafverfahren bestehen auch hinsichtlich des Orts der Einsichtnahme. Während gem. § 147 Abs. 4 StPO die Mitnahme der Verfahrensakten durch den Verteidiger gesetzlich explizit vorgesehen ist, gelten im Steuerverfahren andere Maßstäbe. Die Einsichtnahme der Papierakte erfolgt i.d.R. bei der Behörde bzw. einem Gericht (bei der elektronischen Akte durch Abruf der Daten bzw. Übermittlung auf einem sicheren Übersendungsweg). Eine Übersendung von Akten etwa in Kanzleiräume kommt nur in eng begrenzten Sonderfällen in Betracht (s. § 392 Rz. 474, 475).
Rz. 395
Im Finanzgerichtsverfahren der FGO erfolgt die Akteneinsicht aufgrund des § 78 FGO.