Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Ergänzender Hinweis: Nr. 110 Abs. 2 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 110)
Rz. 11
Besteht zwischen einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit ein Zusammenhang, so kann die StA, die in der Strafsache ermittelt, bis zum Erlass des Bußgeldbescheids durch die Verwaltungsbehörde auch die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit übernehmen (§ 42 Abs. 1 OWiG ). Die Übernahme soll nur erfolgen, wenn dies zur Beschleunigung des Verfahrens oder wegen des Sachzusammenhangs oder aus anderen Gründen für die Ermittlungen oder die Entscheidung sachdienlich ist (§ 42 Abs. 2 OWiG; Nr. 110 Abs. 2 AStBV (St) 2020 [s. AStBV Rz. 110], Nr. 277 Abs. 1 RiStBV). Nach der Legaldefinition des § 42 Abs. 1 Satz 2 OWiG setzt der Zusammenhang i.S.d. § 42 Abs. 1 Satz 1 OWiG voraus, dass jemand sowohl einer Straftat als auch einer Ordnungswidrigkeit (persönlicher Zusammenhang) oder hinsichtlich derselben Tat eine Person einer Straftat und eine andere einer Ordnungswidrigkeit (sachlicher Zusammenhang) beschuldigt wird. Bei rechtlichem Zusammenhang ist die Zuständigkeit der StA bereits nach § 40 OWiG gegeben (s. Rz. 9).
Nach der Übernahme, die aktenkundig zu machen ist und sowohl im Ermittlungsverfahren wie auch nach Erhebung der öffentlichen Anklage erfolgen kann, stehen der StA alle Rechte der Verfolgungsbehörde zu.
Rz. 12
Wegen ihrer selbständigen Ermittlungsbefugnis bei Steuerstraftaten (§ 386 Abs. 2, § 399 AO) braucht die FinB die Bußgeldsache nicht an die StA abzugeben. Sie kann bei diesen Zusammenhangstaten gem. § 410 Abs. 2, § 400 AO den Antrag stellen, dass sich der wegen der Straftat zu erlassende Strafbefehl auch auf den Bußgeldtatbestand erstreckt (vgl. auch Nr. 110 Abs. 3 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 110); hierbei hat das Gericht § 21 OWiG zu beachten (s. Rz. 9, 13). Das wird aber nur zweckmäßig sein, wenn sich das Strafbefehlsverfahren zur Erledigung eignet und mit einem Einspruch nicht zu rechnen ist. Ist abzusehen, dass der Betroffene nur gegen die Geldbuße Einspruch einlegen wird, sollte ein gesonderter Bußgeldbescheid erlassen werden.
Eine Übernahme i.S.d. § 42 OWiG durch die StA ist deshalb nur denkbar, wenn die FinB ausnahmsweise die Steuerstraftat nicht selbst verfolgt (§ 386 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO).
Beispiel
Im Beispiel Rz. 10 leitet die FinB, nachdem die StA von ihrem Evokationsrecht aus § 386 Abs. 4 Satz 2 AO Gebrauch gemacht hat, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) gegen den Steuerberater B ein, der auch den Unternehmer U beraten hat. Die StA kann das Verfahren gegen B übernehmen, wenn zwischen der Straftat des U und der Steuerordnungswidrigkeit des B ein sachlicher Zusammenhang i.S.d. § 42 Abs. 1 OWiG besteht.
Die StA wird gerade im Steuerstrafverfahren vor einer Übernahme i.S.d. § 42 OWiG stets sorgfältig zu prüfen haben, ob dies für die Ermittlung sachdienlich ist (§ 42 Abs. 2 OWiG). Den mit der Verfolgung von Steuerordnungswidrigkeiten i.d.R. befassten und daher erfahrenen FinB sollte nur in wirklichen Ausnahmefällen die Verfolgungskompetenz entzogen werden.