Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 37
Als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (ausführlich s. § 385 Rz. 29, Nr. 3 AStBV (St) 2020, s. AStBV Rz. 3) schließt § 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 410 Abs. 1 AO einige gravierende Zwangsmaßnahmen im Bußgeldverfahren aus. Das erklärt sich aus dem geringeren Unrechtsgehalt der Ordnungswidrigkeiten. Unzulässig sind danach Anstaltsunterbringung (§ 81 StPO), Verhaftung und vorläufige Festnahme (§§ 112 ff., § 127 StPO). Desgleichen werden die Vorschriften über die Rasterfahndung (§§ 98a, 98b StPO), die Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen (§§ 99, 100 StPO, s. § 385 Rz. 364) sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen (§ 100g StPO, § 96 Abs. 1 TKG), ausgeschlossen. Auch eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig, da sie nur bei bestimmten Straftaten (vgl. § 100a StPO, im Steuerstrafrecht nur bei § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 sowie Nr. 5 AO, s. § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO und bei §§ 373, 374 Abs. 2 AO i.V.m. § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b, c StPO, s. § 370 Rz. 1122 ff.; § 385 Rz. 404 ff., 406; § 373 Rz. 164 ff.; § 374 Rz. 134 ff.) gestattet ist; ebenso wenig die Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) und der Lauschangriff (§§ 100c-100f StPO) sowie die Einrichtung von Kontrollstellen (§ 111 StPO), die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§ 163e StPO), die längerfristige Observation (§ 163f StPO) sowie die Vorschriften über das vorläufige Berufsverbot (§ 132a StPO).
Rz. 37.1
Die DNA-Analyse nach § 81e StPO ist im Bußgeldverfahren explizit nicht zugelassen (§ 46 Abs. 4 Satz 4 OWiG).
Rz. 38
Andere Eingriffsmaßnahmen sind zulässig, jedoch an erschwerte Voraussetzungen geknüpft.
Körperliche Untersuchungen des Betroffenen (vgl. § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO) sind im Bußgeldverfahren beschränkt auf die Entnahme von Blutproben (§ 46 Abs. 4 OWiG; praktisch nur denkbar bei Zollordnungswidrigkeiten). Eine Bestandsdatenauskunft gem. § 100j Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 StPO ist nur bei Ordnungswidrigkeiten zulässig, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als 15.000 EUR bedroht sind (§ 46 Abs. 4a OWiG).
Nur der Richter, nicht die StA/FinB (vgl. für das Strafverfahren § 163a Abs. 3 Satz 1, § 161a Abs. 2 Satz 1 StPO), kann einen Betroffenen und Zeugen bei Nichtbefolgung der Ladung zwangsweise vorführen lassen (§ 46 Abs. 5 OWiG).
Identifizierungsmaßnahmen bei dem Betroffenen (vgl. §§ 81b, 163b, 163c StPO) kommen im Rahmen eines steuerlichen Bußgeldverfahrens nicht in Betracht, sie sind allenfalls im Bereich der Zollordnungswidrigkeiten denkbar, werden jedoch i.d.R. unverhältnismäßig sein.
Als Eingriffsrechte bei steuerlichen Ordnungswidrigkeiten sind vor allem Beschlagnahmen (§§ 94–98 StPO) und Durchsuchungen (§§ 102–110 StPO) sowie die vorläufige Sicherstellung der Einziehung des Tatertrags sowie der Vermögensarrest zur Sicherung der Wertersatzeinziehung (§§ 111b, 111e StPO n.F., s. § 385 Rz. 456 ff.) zu nennen (s. Rz. 143 f.). Derart gravierende Eingriffe müssen sich aber an dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, insb. an der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts, messen lassen. Auch bei geringfügigen Beträgen ist im Übrigen ein Vermögensarrest zulässig. Einen Ausschluss wie bei § 111d Abs. 1 Satz 3 StPO a.F. gibt es nicht mehr.
Die im Strafverfahren geltenden Beweis- und Verwertungsverbote gelten im Bußgeldverfahren sinngemäß (s. näher § 385 Rz. 1045 ff.).