Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Entstehungsgeschichte
Rz. 1
Die Vorläuferbestimmung des § 410 AO war § 447 RAO i.d.F. des 2. AO-StrafÄndG vom 12.8.1968. In den EAO 1974 wurde § 447 RAO als § 394 übernommen. Sachlich stimmten beide Vorschriften überein. Der Katalog der entsprechend anwendbaren Vorschriften des Steuerstrafverfahrensrechts wurde nur dahin ergänzt, dass auch § 383 Abs. 2 EAO 1974 (jetzt § 399 Abs. 2 AO) im Bußgeldverfahren anwendbar sein sollte. Ferner wurde der Katalog der Vorschrift noch um eine Nr. 10 ergänzt, durch die klargestellt wird, dass die in die AO aufgenommene Regelung über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen nach § 405 AO auch bei Bußgeldverfahren gelten soll. Mit diesen beiden Ergänzungen wurde § 447 RAO als § 410 AO Gesetz.
Das OWiG hat das Bußgeldverfahren gegenüber dem Strafverfahren weniger förmlich ausgestaltet (zur Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des OWiG 1968 und seiner weiteren Novellierungen durch das 2. WiKG 1986 s. vor § 377 Rz. 3 ff.). Die Novellierung des OWiG 1986 verstärkte vor allem die Position der Verwaltungs-/Finanzbehörde im Zwischenverfahren und die nicht unbedenklichen Verfahrensvereinfachungen im gerichtlichen Verfahren (§ 77 Abs. 2 und 3, §§ 77a, 78 OWiG). Die Reform des OWiG durch Gesetz vom 26.1.1998, in Kraft seit dem 1.3.1998, führte neben materiell-rechtlichen Änderungen (Erhöhung des subsidiären Bußgeldrahmens in § 17 Abs. 1 OWiG, für Steuerordnungswidrigkeiten wegen des weit höheren Bußgeldrahmens nicht relevant) zu einer weiteren der Entlastung der Justiz dienenden Straffung des Verfahrens (z.B. durch Einschränkung der Rechtsbehelfe). Diese Entwicklung, die der Verfahrensökonomie Vorrang vor den Rechten des Betroffenen einräumt, gab Anlass zu Kritik. Die Verfahrensvereinfachungen sind vor allem zugeschnitten auf das Massenphänomen der Straßenverkehrsverstöße, für den Bereich der Steuerordnungswidrigkeiten mit zum Teil exorbitanten Bußgeldrahmen und schwierigen Ermittlungssachverhalten aber denkbar ungeeignet.
II. Zweck, Anwendungsbereich und Bedeutung
Rz. 2
Festzuhalten ist, dass der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, in die AO ein eigenständiges Verfahren zur Verfolgung und Ahndung von Steuerordnungswidrigkeiten einzufügen. Die einschlägigen §§ 409–412 AO enthalten nur wenige Sonderregelungen für das Bußgeldverfahren bei Steuerordnungswidrigkeiten, im Übrigen die Generalverweisungsnorm des § 410 AO. Nach dieser Vorschrift sind auf das Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten die verfahrensrechtlichen Vorschriften des OWiG (§§ 35–110 OWiG) entsprechend anzuwenden. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass auch das OWiG keine erschöpfende Kodifikation des Bußgeldverfahrens enthält. Nach § 46 Abs. 1 OWiG gelten nämlich für das Bußgeldverfahren "sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes".
Rz. 2.1
Daneben verweist § 410 AO auf zahlreiche Sonderbestimmungen der AO über das Strafverfahren in Steuerstrafsachen. Diese Verweisung entspricht der Doppelfunktion der FinB als Bußgeldbehörden und als Verfolgungsbehörden in Steuerstrafverfahren.
Rz. 2.2
Für das Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten gelten bundesweit einheitlich die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (hier insb. Nr. 7, 100–112 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 7, 100 ff.). Zum Regelungsgehalt dieser Anweisungen s. Näheres vor § 385 Rz. 25 ff. Die StA schließlich hat die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) zu beachten.
Rz. 2.3
§ 410 AO findet unmittelbare Anwendung auf Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten i.S.d. § 377 Abs. 1 AO (s. die Auflistung in § 377 Rz. 11 ff.). Steuerordnungswidrigkeiten (Zollordnungswidrigkeiten) werden in § 377 Abs. 1 AO definiert als "Zuwiderhandlungen gegen Steuergesetze, die mit Geldbuße geahndet werden". Damit verweist die Vorschrift vor allem auf die §§ 378–384a AO, in denen die abgabenrechtlichen Bußgeldtatbestände normiert sind; dazu zählen weiter z.B. § 26a UStG (Nichtzahlung der Umsatzsteuer, s. § 377 Rz. 281 ff., 292 ff.; früherer § 26b UStG weggefallen und modifiziert in die Bußgeldvorschrift des § 26a Abs. 1 UStG eingefügt zum 1.7.2021) sowie Ordnungswidrigkeiten nach §§ 50e, 50f und 39 Abs. 9, § 41b Abs. 2, 2a, § 96 Abs. 7 EStG (s. § 370 Rz. 1271, 1323; § 377 Rz. 254 ff., 258 ff., 249 ff., 252 f.).
Rz. 2.4
Der neue Bußgeldtatbestand des § 384a AO enthält eine eigene Regelung zur Anwendbarkeit des Ordnungswidrigkeitenrechts: Gemäß § 384a Abs. 2 AO sind über den Verweis auf § 41 BDSG die materi...