Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Allgemeines
Rz. 114
Vorbehaltlich abweichender Regelungen im OWiG finden die Vorschriften der StPO über Rechtsmittel im gerichtlichen Bußgeldverfahren entsprechende Anwendung (vgl. § 46 Abs. 1 OWiG).
Dies bedeutet zunächst, dass die allgemeinen Bestimmungen über Rechtsmittel (§§ 296–303 StPO) sinngemäß heranzuziehen sind. Auch im Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten sind daher z.B. nicht nur der Betroffene (und der Nebenbeteiligte), sondern auch die StA als zuständige Verfolgungsbehörde zur Anfechtung gerichtlicher Entscheidungen befugt (§ 296 Abs. 1 StPO). Die FinB ist nicht zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt; sie ist insofern auf eine Kooperation mit der StA angewiesen (s. § 407 Rz. 19, 23).
II. Beschwerde
Rz. 115
Beschlüsse und Verfügungen des Amtsrichters, die selbständige Bedeutung haben und die Rechte des Betroffenen oder eines anderen Verfahrensbeteiligten verletzen können, sind nach den §§ 304–311a StPO mit der Beschwerde angreifbar (s. § 385 Rz. 795 ff.).
Beispiel
Im gerichtlichen Bußgeldverfahren, in dem K eine leichtfertige Steuerverkürzung vorgeworfen wird, lässt der Amtsrichter auf Antrag der FinB Geschäftsbücher des K beschlagnahmen. K kann gegen diese Anordnung gem. § 304 Abs. 1, § 305 Satz 2 StPO mit der Beschwerde vorgehen. Dadurch wird allerdings der Vollzug der Beschlagnahme nicht gehemmt (§ 307 Abs. 1 StPO).
III. Rechtsbeschwerde
1. Sonderregelungen
Rz. 116
Die Vorschriften über Berufung und Revision (§§ 312 ff. StPO) gelten im Bußgeldverfahren nicht, weil in den §§ 79, 80 OWiG insoweit eine abschließende Sonderregelung vorgesehen ist. Das gerichtliche Bußgeldverfahren kennt nur eine Tatsacheninstanz; eine Überprüfung der amtsrichterlichen Sachentscheidung in tatsächlicher Hinsicht durch ein Berufungsgericht ist also ausgeschlossen. Fehlerhafte Rechtsanwendung kann dagegen in beschränktem Umfang mit der Rechtsbeschwerde gerügt werden. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist im Wesentlichen der Revision im Strafprozess nachgebildet (§ 79 Abs. 3 OWiG). Unterschiede bestehen vor allem darin, dass mit der Rechtsbeschwerde grds. auch der im schriftlichen Verfahren ergangene Beschluss (§ 72 OWiG) angegriffen werden kann. Ferner besteht die Möglichkeit, auch in Bagatellfällen die Rechtsbeschwerde gegen Urteile zuzulassen (§§ 80, 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG).
2. Zulässigkeit
a) Voraussetzungen
Rz. 117
Der in § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG enthaltene Katalog der Zulässigkeitsvoraussetzungen macht deutlich, dass die Rechtsbeschwerde bei weniger bedeutsamen Ordnungswidrigkeiten ausgeschlossen sein soll (Ausnahme: § 80 OWiG). Die Rechtsbeschwerde ist gegen Urteile und Beschlüsse i.S.v. § 72 OWiG nur statthaft, wenn
Ferner ist die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil zulässig, wenn sie zugelassen wird (§ 79 Abs. 1 Satz 2, § 80 OWiG; s. Rz. 121).
Beispiel
Gegen die X-KG wurde durch Urteil als Nebenfolge eine Geldbuße von 1.500 EUR festgesetzt, weil der vertretungsberechtigte Gesellschafter K es verabsäumt hatte, Steuerabzugsbeträge einzubehalten und abzuführen (§ 30 OWiG i.V.m. § 380 AO). Dieses Urteil kann die X-KG (vertreten durch K) gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG mit der Rechtsbeschwerde angreifen.
Beispiel
Die FinB hatte beim AG einen Strafbefehl gegen den Handwerksmeister G wegen vorsätzlicher Einkommensteuerhinterziehung (§ 370 AO) und einer Lohnsteuergefährdung (§ 380 AO) erwirkt (§§ 400, 410 Abs. 2 AO, § 42 Abs. 1 OWiG). Wegen der Steuergefährdung setzte das Gericht eine Geldbuße von 500 EUR fest. Im gerichtlichen Verfahren nach Einspruch gegen den Strafbefehl gelingt es dem K nach Auffassung des Gerichts, die Beschuldigung hinsichtlich der Steuerordnungswidrigkeit zu entkräften. Im Urteil wird K daraufhin vom Verdacht der Steuergefährdung freigesprochen.
Die StA möchte dagegen Rechtsbeschwerde einlegen, doch wäre diese nicht statthaft, da der Beschwerdewert von 600 EUR nicht erreicht ist (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG).
Rz. 118
§ 79 Abs. 2 OWiG enthält eine Sonderregelung für den Fall, dass die Sachentscheidung des Gerichts mehrere Taten im verfahrensrechtlichen Sinne zum Gegenstand hat, die Voraussetzungen der ...