Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Vorbemerkung
Rz. 122
Die §§ 81–83 OWiG regeln das Verhältnis von Bußgeld- und Strafverfahren. Beide Verfahrensarten sind nicht streng voneinander getrennt. Vielmehr ist ein nahtloser Übergang zum Strafverfahren möglich, wenn sich im Bußgeldverfahren ergibt, dass die Tat eine Straftat ist. Umgekehrt kann die Tat im Strafverfahren auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Steuerordnungswidrigkeit abgeurteilt werden. Dieser flexible Übergang vom Bußgeldverfahren zum Strafverfahren und umgekehrt ist nicht nur ein Gebot der Prozessökonomie, sondern entspricht auch den Interessen des Betroffenen.
II. Übergang vom Bußgeld- zum Strafverfahren
1. Keine rechtliche Bindung des Gerichts
Rz. 123
Das Gericht ist im Bußgeldverfahren an die Beurteilung der Tat als Ordnungswidrigkeit nicht gebunden (§ 81 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Damit stellt das Gesetz noch einmal ausdrücklich klar, dass durch den Bußgeldbescheid der Untersuchungsgegenstand im Hauptverfahren nur in tatsächlicher, nicht in rechtlicher Hinsicht begrenzt wird.
Beispiel
L ist durch Bußgeldbescheid der FinB wegen leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) mit einer Geldbuße von 5.000 EUR belegt worden. Das AG bejaht hingegen vorsätzliches Handeln des L und verurteilt ihn zu einer gleich hohen Geldstrafe gem. § 370 AO (Steuerhinterziehung).
2. Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes
Rz. 124
Da es für den Betroffenen eine einschneidende Änderung seiner prozessualen Situation bedeutet, wenn auf seinen Einspruch hin die Tat nun auch unter dem Gesichtspunkt einer Straftat geprüft und möglicherweise geahndet wird, muss er vor einer überraschenden Entscheidung geschützt werden. Zu diesem Zweck sieht das Gesetz in § 81 Abs. 1 Satz 2 OWiG vor, dass das Gericht nur dann aufgrund eines Strafgesetzes entscheiden darf, wenn der Betroffene zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist. Der Hinweis kann auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren erteilt werden. Unterbleibt der Hinweis, darf keine Entscheidung (also kein Freispruch und keine Einstellung) unter strafrechtlichen Gesichtspunkten erfolgen. Der Hinweis auf den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt ist mithin konstitutiv für den Übergang in das Strafverfahren. Das wird auch daran deutlich, dass der Betroffene erst mit dem Hinweis die Stellung eines Angeklagten erlangt (§ 81 Abs. 2 Satz 2 OWiG).
Rz. 125
Das Unterlassen des Hinweises begründet für das weitere Verfahren kein Verfahrenshindernis. Ergeht dennoch eine Entscheidung des Gerichts, kann der Betroffene dagegen mit den Rechtsmitteln der StPO vorgehen.
Erfolgt der Hinweis während der Hauptverhandlung, aber in Abwesenheit des Betroffenen zu Protokoll, darf ohne den ausgebliebenen Betroffenen nicht weiter verhandelt werden (vgl. § 230 StPO). Die Bekanntgabe an den Verteidiger genügt nicht. Wird gleichwohl ohne den Angeklagten verhandelt, stehen diesem gegen ein Urteil die Rechtsmittel der StPO zur Verfügung.
Im Gegensatz zu § 265 StPO erteilt das Gericht den Hinweis nicht nur von Amts wegen; stellt die StA einen entsprechenden Antrag, ist das Gericht dazu verpflichtet (§ 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG).
3. Rücknahme des Einspruchs
Rz. 126
Trotz des erteilten Hinweises kann der Betroffene den Einspruch noch zurücknehmen, solange die Hauptverhandlung zur Sache noch nicht begonnen hat. Die gegenteilige Ansicht der Rspr. ist insb. im Vergleich zum Strafbefehlsverfahren nicht nachvollziehbar.
4. Unterbrechung der Hauptverhandlung
Rz. 127
Damit der Betroffene ggf. seine Verteidigung auf den neuen und schwereren Vorwurf einrichten kann, räumt ihm das OWiG in Erweiterung von § 265 Satz 3 und 4 StPO das uneingeschränkte Recht ein, nach dem Hinweis die Unterbrechung der Haup...