Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
1. Allgemeine Hinweise
Rz. 44
Der Betroffene ist auch im Bußgeldverfahren nicht nur "Objekt staatlichen Zwangs", sondern Beteiligter des Verfahrens, zu dessen Gunsten bestimmte rechtsstaatliche Garantien eingreifen. Er ist nicht zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet, er hat insb. ein Schweigerecht, über das er zu belehren ist (§ 410 Abs. 1 AO, § 46 Abs. 1 OWiG, § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO). Der Betroffene hat auch im Verfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten vor der FinB Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 55 OWiG; zur Möglichkeit der Rechtsbeschwerde gem. § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG s. Rz. 117; s. auch § 385 Rz. 147 ff.), auf dessen nähere Ausgestaltung später noch eingegangen werden wird (s. Rz. 59 ff.). Er darf sowohl im Verfahren vor den Verfolgungsbehörden wie im gerichtlichen Verfahren Beweisanträge zu seiner Verteidigung stellen. Ferner gilt in jedem Stadium des Bußgeldverfahrens der allgemeine Grundsatz "in dubio pro reo", d.h. das Verfahren ist einzustellen, wenn die Tat dem Betroffenen nicht mit letzter Sicherheit nachgewiesen werden kann (s. auch § 385 Rz. 681).
2. Recht auf Verteidigung (§ 410 Abs. 1 Nr. 3 AO)
Rz. 45
Auch im Verfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten gehört es zu den praktisch wichtigsten Rechten des Betroffenen, sich in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers bedienen zu dürfen (§ 137 Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG). Zu dessen Rechten s. im Einzelnen Rz. 61.1. Eine Hinweispflicht auf dieses Recht besteht allerdings im Gegensatz zum Strafverfahren nicht (§ 55 Abs. 2 OWiG), sollte aber in tatsächlich oder rechtlich schwierigen Fällen ein Gebot der prozessualen Fürsorgepflicht sein. Die Vorschriften der StPO über die Verteidigung (§§ 137 ff. StPO, s. § 392 Rz. 11 ff., 156 ff., 251 ff.) sind im Verfahren vor der FinB (der StA) und auch im gerichtlichen Bußgeldverfahren sinngemäß anzuwenden (§ 46 Abs. 1 OWiG). Gemäß § 60 OWiG ist ein Fall der notwendigen Verteidigung nur nach Maßgabe des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO geboten. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers bildet daher im Bußgeldverfahren die Ausnahme, ist aber durchaus denkbar wegen der Schwere der Tat, wegen schwieriger Sach- oder Rechtslage oder wenn der Betroffene sich nicht allein wirksam verteidigen kann, ohne den Akteninhalt zu kennen, der nur dem Verteidiger zugänglich ist (§ 410 Abs. 1 AO, § 46 Abs. 1 OWiG, § 147 StPO).
Wie im Steuerstrafverfahren dürfen den Betroffenen auch Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer allein verteidigen (§ 392 AO i.V.m. § 410 Abs. 1 Nr. 3 AO), jedoch nur solange, wie die FinB zur Verfolgung und Ahndung zuständig ist (entsprechend für das Steuerstrafverfahren s. § 392 Rz. 61 ff.). Im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren (in den Fällen der §§ 40, 41 und 42 OWiG; s. Rz. 9 ff.) und im gerichtlichen Verfahren (s. Rz. 97 ff.) kann der Berufsangehörige nur gemeinschaftlich mit einem Rechtsanwalt oder einem (Fach-)Hochschullehrer verteidigen, es sei denn, die Alleinverteidigung ist vom Gericht genehmigt (s. § 392 Rz. 81 ff., 91 ff.). Die Rechte des Verteidigers im Bußgeldverfahren entsprechen denen des Verteidigers im Steuerstrafverfahren (s. § 392 Rz. 351 ff.).