Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist u.E. – entgegen den Ausführungen von BGH und BVerfG – die Übergangsregelung des Art. 316j EGStGB problematisch.
Einziehung nach steuerrechtlicher Verjährung: Die Vorschrift eröffnet – entgegen § 2 Abs. 5 StGB – auch dann einen Anwendungsbereich für § 73e Abs. 1 S. 2 StGB, wenn gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO in großem Ausmaß Steuern verkürzt bzw. nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt worden sind, die Tat vor dem 29.12.2020 begangen worden ist und über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages nach diesem Zeitpunkt entschieden wurde. Die Vorschrift des § 73e Abs. 1 S. 1 StGB greift sogar dann, wenn im Zeitpunkt des Erlasses der Vorschrift bereits steuerrechtliche Verjährung eingetreten war. Hinterzogene Steuern können damit im Ergebnis auch noch nach Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung eingezogen werden, und zwar längstens bis die selbstständige Einziehung verjährt ist.
Gemäß § 76b Abs. 1 StGB verjährt die Einziehung grundsätzlich in 30 Jahren ab Beendigung der Tat, wobei die Regelungen zur Unterbrechung sowie zum Ruhen der Verjährung nach § 76b Abs. 1 S. 3 StGB entsprechend gelten. Mithin ist im Ergebnis – entsprechende Unterbrechungs- und Ruhenstatbestände vorausgesetzt – eine Einziehung auch noch bis zu 65 Jahre nach Tatbeendigung möglich (Maciejewski, wistra 2020, 441 zu § 375a AO a.F.). So sind selbständige Einziehungen theoretisch durchaus für Tathandlungen in den 90er Jahren denkbar (vgl. Radermacher, AO-StB 2021, 101).
Dogmatisch führt dies dazu, dass in derartigen Fällen das Tatzeitrecht und das Meistbegünstigungsprinzip nach § 2 Abs. 1 und 3 i.V.m. Abs. 5 StGB keine Anwendung findet (vgl. BT-Drucks, 19/25160, S. 211). § 2 Abs. 5 StGB ordnet an, dass die Vorschriften des § 2 Abs. 1 bis 4 StGB für die Einziehung entsprechend gelten. Von besonderer Bedeutung sind insoweit § 2 Abs. 1 und Abs. 3 StGB, wonach sich die Strafe und ihre Nebenfolgen nach dem Gesetz bestimmen, das zur Zeit der Tat gilt (Abs. 1) und das mildeste Gesetz anzuwenden ist, wenn das das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert wird (Abs. 3).
Rückwirkungsverbot: Das darin liegende Rückwirkungsverbot ist im Grunde bereits durch das in § 1 StGB verkörperte Nullum-crimen-Prinzip vorgezeichnet; denn nach dem daraus gefolgerten Erfordernis einer Lex praevia verbietet sich sowohl eine strafbegründende als auch strafschärfende Anwendung nachträglich ergangenen Rechts. Das lässt sich nicht nur aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Wahrung der Menschenwürde i.V.m. dem Schuldgrundsatz begründen, sondern hat auch eine kriminalpolitisch positiv-generalpräventive Funktion; denn die von Strafrechtsnormen erwartete Determinierung des Einzelnen zu einem bestimmten Verhalten kann naturgemäß immer nur von bereits vertypten Normen ausgehen; rückwirkende Normen würden insoweit ins Leere gehen (vgl. Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 2 Rz. 1; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 2 Rz. 1; Schmitz in MünchKomm/StGB, 4. Aufl. 2020, § 2 Rz. 2 ff.). Auf europäischer Ebene ist das Rückwirkungsverbot u.a. in Art. 49 Abs. 1 S. 1 GR-Charta bzw. Art. 7 Abs. 1 EMRK normiert (vgl. Remmer in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Art. 103 Abs. 2 Rz. 27 [Juli 2021]); Dannecker/Bülte in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, 2. Kapitel Rz. 209; Lohse/Jacobs, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, Art. 7 EMRK Rz. 1).
Der BGH führt in seinem Cum-Ex-Urteil aus, dass die Vorschrift nicht gegen das auch bei der Einziehung zu beachtende verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße (vgl. BGH v. 28.7.2021 – 1 StR 519/20, DStR 2021, 2453). Zwar liege eine sog. echte Rückwirkung vor. Allerdings sei der Verstoß durch überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt. Durch die ordnende Funktion des Vermögensabschöpfungsrechts, das seinen Ausgangspunkt in den strafrechtlichen Bewertungen des Gesetzgebers findet, soll sowohl dem Straftäter als auch der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt werden, dass eine strafrechtswidrige Vermögensmehrung von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird und deshalb keinen Bestand haben kann.
Beraterhinweis Der geneigte Leser mag hier zustimmen und die Einziehung des Werts von Taterträgen bei den Tätern aus dem Cum-Ex-Skandal begrüßen. Insoweit ist allerdings zu beachten, dass die Vorschrift des Art. 316j EGStGB gerade nicht auf derartige Fälle beschränkt ist, vielmehr erweitertet die Vorschrift den Anwendungsbereich auf jede Steuerhinterziehung, die einen Betrag von 50 000 EUR überschreitet und bei der die Verjährungsfrist des selbstständigen Einziehungsverfahrens noch nicht abgelaufen ist (Maciejewski, wistra 2020, 441 zu § 375a AO a.F.). Vor diesem Hintergrund verstößt Art. 316j EGStGB u.E. gegen fundamentale Prinzipien des Verfassungs- und Strafrechts (Reichling/Lange/Borgel, PStR 2021, 31).
Gesetze, die – wie vorliegend von BGH und BVerfG a...