IFRS 3 verlangt im Rahmen der Erstkonsolidierung eine vollständige Neubewertung des erworbenen Vermögens auch dann, wenn weniger als 100 % eines Unternehmens erworben werden. Stille Reserven und Lasten sind also nicht nur in Höhe des Anteils des Erwerbers aufzudecken, sondern zu 100 %.
Im Normalfall (stille Reserven höher als stille Lasten) führt die vollständige Neubewertung zu einem höheren Ansatz des Nettovermögens und einem höheren Wert der nicht beherrschenden Anteile als eine nur beteiligungsproportionale Neubewertung. Bei der Folgekonsolidierung ergeben sich entsprechend höhere Abschreibungen auf das Anlagevermögen und ein niedrigerer (weil stärker durch Abschreibungen usw. belasteter) Gewinnanteil der nicht beherrschenden Gesellschafter (Minderheitsgesellschafter).
Nach bis 2008 geltendem IFRS 3 waren die Minderheitsgesellschafter des Tochterunternehmens zwar an den stillen Reserven, aber nicht am goodwill beteiligt. Mit der sog. Einheitstheorie, wonach der Konzern als einheitlich durch verschiedene Eigenkapitalgebergruppen (Gesellschafter des Mutterunternehmens, nicht beherrschende Gesellschafter von Tochterunternehmen) finanziert gilt, vertrug sich diese "Diskriminierung" des Minderheitenanteils nicht. Sie entsprach eher der Interessentheorie. Nach ihr ist der nicht beherrschende Anteil weniger Eigenkapital als bilanzieller Ausgleichsposten dafür, dass Vermögen und Schulden der Tochterunternehmen auch dann zu 100 % konsolidiert werden, wenn das Interesse (der Anteil) des Mutterunternehmens weniger als 100 % beträgt.
Die Konzernrechnungslegung nach IFRS hat sich in den letzten Jahren jedoch immer stärker der Einheitstheorie zugewandt.
Seit 2005 gilt etwa:
- Der nicht beherrschende Anteil ist im Eigenkapital auszuweisen.
- Die stillen Reserven sind bei der Erstkonsolidierung auch für die nicht beherrschenden Anteile aufzudecken.
Andererseits wurde der Minderheitenanteil noch nicht in jeder Hinsicht dem Anteil der Gesellschafter des Mutterunternehmens gleichgestellt. Das bis 2009 geltende Recht sah etwa vor, dass Minderheitenanteile in der Bilanz nicht mit einem negativen Wert ausgewiesen werden dürfen. Ab 2010 entfiel diese Ungleichbehandlung.
Zur vollen Gleichbehandlung fehlt dann nur noch die Berücksichtigung des Anteils der nicht beherrschenden Gesellschafter am goodwill.
Der in 2005 vorgelegte Änderungsentwurf ED IFRS 3 sah ohne Wenn und Aber den Wechsel zu dieser sog. full-goodwill-Methode vor. Als deren Nachteil gilt jedoch die mangelnde Objektivierung des goodwill. Er ist nicht mehr pagatorisch als Unterschied zwischen (vom Mehrheitsgesellschafter gezahltem) Kaufpreis und anteiligem Nettovermögen zu bestimmen, sondern auf Basis einer Unternehmensbewertung. Im Board des IASB war die in ED IFRS 3 vorgeschlagene Lösung daher umstritten. Als Kompromiss sieht die seit 2010 geltende Neufassung von IFRS 3 ein Wahlrecht zur Anwendung der full-goodwill-Methode vor. Der nicht beherrschende Anteil kann nach IFRS 3.19 entweder
- zum Anteil am Zeitwert des Nettovermögens und damit ohne den Wert von geschäftswertbildenden Faktoren wie Synergien, eingespielter Organisation etc. oder
- zum Zeitwert des Anteils am Unternehmen und damit unter Einschluss des goodwill
erfasst werden.
Beispiel
MU erwirbt für einen Kaufpreis von 90 60 % an TU, deren Nettovermögen zu Buch- und Zeitwerten 100 beträgt.
Nach früher pflichtweise und nunmehr wahlweise anzuwendender Methode ergeben sich folgende Erstkonsolidierungsbeträge:
goodwill (90 – 0,6 × 100) |
30 |
Nettovermögen TU |
100 |
Nicht beherrschender Anteil (0,4 × 100) |
(–)40 |
Summe (= Kaufpreis für 60 %) |
90 |
Wird stattdessen zukünftig wahlweise nach der full-goodwill-Methode verfahren gilt, im einfachsten Fall, d. h. bei Hochrechnung des Kaufpreises von 90 für 60 % auf einen Gesamtunternehmenswert von 90 / 0,6 = 150:
full-goodwill (90 / 0,6 – 100) |
50 |
Nettovermögen TU |
100 |
Nicht beherrschender Anteil [0,4 × (50 + 100)] |
(–)60 |
Summe (= Kaufpreis für 60 %) |
90 |
Der goodwill fällt um 4 / 6 = 20 höher aus. Damit einher geht eine Erhöhung des nicht beherrschenden Anteils um 20.
Im vorstehenden Beispiel blieben Kontrollprämien unberücksichtigt. Hierunter versteht man den gegenüber dem anteiligen Unternehmenswert gezahlten Aufschlag für die Erlangung der Kontrollmehrheit. Inhaltlich geht es um die unterschiedliche Qualität einer 50,01 %igen Beteiligung gegenüber einer 49,99 %igen. Wer die Mehrheit hat und damit die Geschäftspolitik bestimmen kann, ist eher in der Lage, Synergien aus dem Erwerb zu ziehen, und wird hierfür einen höheren Preis zahlen. Kontrollprämien in der Größenordnung von je nach Land und Branche um die 10 Prozentpunkte sind empirisch belegt.
Beispiel
Im Erwerbspreis von 90 ist eine Kontrollprämie von 10 enthalten. Die (durch eine DCF-Bewertung zu bestätigende) Hochrechnung auf den Gesamtunternehmenswert wäre nicht 90 / 0,6 = 150, sondern 80 / 0,6 = 133. Der goodwill wäre wie folgt zu ermitteln und aufzuteilen:
goodwill gesamt (133 – 100) |
33 |
Davon MU (wie bisher; 90 - 0,6 × 100) |
30 |
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