Leitsatz
Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer für ein Fahrzeug, das als Zubehör bereits vor Insolvenzeröffnung durch Anordnung der Zwangsverwaltung über ein Grundstück beschlagnahmt worden war, ist keine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und daher nicht gegenüber dem Insolvenzverwalter, sondern gegenüber dem Zwangsverwalter festzusetzen.
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Nr. 1 KraftStG, § 34 AO, § 35 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO, § 152, § 153b Abs. 1 ZVG, § 97 Abs. 1 Satz 1, § 98 Nr. 2 BGB
Sachverhalt
Über das Vermögen des H wurde am 1.4.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet; der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Bereits vorher war die Zwangsverwaltung von u.a. im Eigentum des H stehenden landwirtschaftlichen Grundstücken angeordnet und eine Zwangsverwalterin bestellt worden. Die Zwangsverwaltung dauerte bis zum 27.7.2010. Auf H war eine landwirtschaftliche Zugmaschine zugelassen, die den landwirtschaftlichen Grundstücken diente und mit diesen in einem räumlichen Zusammenhang stand. Sie wurde zu keinem Zeitpunkt vom Kläger im Rahmen der Insolvenzverwaltung für die Insolvenzmasse genutzt.
Das FA setzte gegen den Kläger für die Zeit vom 1.4.2007 bis 1.7.2007 Kraftfahrzeugsteuer für die Zugmaschine fest. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG gab der Klage statt. Die Kraftfahrzeugsteuer für die Zugmaschine sei keine Masseverbindlichkeit, sodass der Bescheid an die Zwangsverwalterin hätte gerichtet werden müssen (FG München, Urteil vom 23.3.2011, 4 K 812/08, Haufe-Index 2707531, EFG 2011, 1497).
Entscheidung
Der BFH folgte der Vorentscheidung aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen.
Hinweis
Für die insolvenzrechtliche Praxis ist die Behandlung der nach Insolvenzeröffnung entstandenen Kraftfahrzeugsteuer von erheblicher Bedeutung. Bislang nicht abschließend geklärt war die spezielle Fragestellung, ob die Kraftfahrzeugsteuer für ein bereits vor Insolvenzeröffnung von einer Zwangsverwaltung erfasstes Kfz gegen den Insolvenzverwalter oder aber gegen den Zwangsverwalter festzusetzen ist.
1. In seinem Grundsatzurteil vom 13.4.2011 (II R 49/09, BFH/NV 2011, 1971, BFH/PR 2011, 464) hat der BFH entschieden, dass nach Insolvenzeröffnung entstandene Kfz-Steuer eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, wenn das betreffende Fahrzeug ein Teil der Insolvenzmasse ist. In diesem Fall ist der Insolvenzverwalter als Vermögensverwalter auch Steuerpflichtiger und Inhaltsadressat von Steuerbescheiden, mit denen das FA eine Masseverbindlichkeit geltend macht. Die frühere Rechtsprechung des BFH, wonach die Rechtsposition als Halter des Kfz zur Insolvenzmasse gehört und damit das Vorliegen einer Masseverbindlichkeit begründet, ist ausdrücklich aufgegeben worden.
2. Ist ein Fahrzeug (als Zubehör) bereits vor Insolvenzeröffnung durch Anordnung der Zwangsverwaltung über ein Grundstück beschlagnahmt worden, kann daher der Insolvenzverwalter nur dann richtiger Inhaltsadressat eines Kraftfahrzeugsteuerbescheids sein, wenn die Kraftfahrzeugsteuer auch Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ist. Dies hat der BFH verneint:
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lässt grundsätzlich die Verwaltungs- und Nutzungsbefugnis des Zwangsverwalters über die beschlagnahmten Sachen unberührt. Dies lässt sich unschwer schon aus § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO und § 153 Abs. 1 ZVG ablesen. Ist daher ein Kraftfahrzeug Zubehör (i.S.d. §§ 97f. BGB) eines Grundstücks des Insolvenzschuldners und bereits vor Insolvenzeröffnung durch die Anordnung der Zwangsverwaltung beschlagnahmt worden, unterfällt es nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Zubehör ist bei einem Landgut (§ 98 Nr. 2 BGB) auch eine landwirtschaftliche Zugmaschine. Die Kraftfahrzeugsteuer für ein solches Fahrzeug muss deshalb gegen den Zwangsverwalter festgesetzt werden.
Anderes gilt nur dann, wenn der Vollstreckungsgläubiger zugleich Insolvenzgläubiger ist und die Beschlagnahme im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag stattfand, sodass sie mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam wird (§ 88 InsO, sog. Rückschlagsperre).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 1.8.2012 – II R 28/11