Uneinigkeit bei steuerrechtlicher Einordnung
[Ohne Titel]
Dr. Christian Bertrand, RA / FASt und Michael Görlich, RA/FASt
Nachdem in Teil 2 unserer neuen Kompakt-Aufsatzreihe "Krypto 2 Go" ein Überblick über die steuerliche Behandlung von Kryptowerten vermittelt wurde (Bertrand/Görlich, EStB 2024, 188), wenden sich die Autoren in diesem Teil 3 der Beitragsreihe ausgewählten Spezialfragen zu.
I. Initial Coin Offering (ICO)
1. Begriff
Der Begriff Initial Coin Offering (ICO) umschreibt das Krypto-Pendant zum Initial Public Offering (IPO). Während
- beim IPO Aktien aus dem Bestand oder einer Kapitalerhöhung auf dem Kapitalmarkt angeboten werden, sind es
- beim ICO Token, die gegen Einheiten einer virtuellen oder staatlichen Währung emittiert werden.
2. Funktionsweise
Wie beim Börsengang eines Unternehmens geht es beim ICO zuvorderst um das Einsammeln von Kapital. Dabei werden "harte" Coins (z.B. BTC, USDT oder ETH) investiert. Im Gegenzug erhalten die Investoren Token, die – je nach Ausgestaltung – unterschiedliche Rechte vermitteln. Eine einheitliche oder gesetzlich definierte Terminologie hat sich bislang nicht etabliert.
Klassifizierung von Token: In Praxis und Literatur werden in der Regel folgende Klassen von Token unterschieden:
- Investment Token – von der Finanzverwaltung als Security Token bezeichnet – vermitteln dem Erwerber einen zukünftigen (Rück-)Zahlungsanspruch. Sie lassen sich weiter in Debt Token und Equity Token unterteilen. Während Debt Token neben einem Rückzahlungsanspruch auch einen Anspruch auf "Zinsen" gewähren können (wie etwa bei Darlehen oder bei Genussrechten), können Equity Token Gewinnanteile an einem Unternehmen und damit Gewinnausschüttungsansprüche vermitteln. Je nach technischer Ausgestaltung des Token kann die Ausschüttung automatisiert über Smart Contracts erfolgen. Erzielt das Projekt z.B. Gewinne in ETH, erhalten Investoren eine entsprechende "Gutschrift" in ETH.
- Utility Token vermitteln demgegenüber keinerlei Rechte an einem Unternehmen und somit auch keinen Anspruch auf Gewinnausschüttungen oder "Zinsen". Sie sind eine Art digitaler Gutschein, der dem Erwerber einen Anspruch auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen einräumt.
- Currency Token schließlich vermitteln ebenfalls keinerlei Rechte an einem Unternehmen und somit auch keinen Anspruch auf Gewinnausschüttungen oder "Zinsen". Ihr Wert beruht einzig auf der Erwartung, zukünftig als Zahlungsmittel eingesetzt zu werden.
Die konkrete Ausgestaltung ergibt sich üblicherweise aus einem sog. White Paper. In der Regel finden sich darin Informationen zum geplanten Geschäftszweck des Projekts, den dahinterstehenden Personen und den zu emittierenden Token.
3. Steuerliche Behandlung beim Emittenten
Der ertragsteuerlichen Behandlung von ICOs beim Emittenten widmet sich das BMF im Schreiben vom 10.5.2022 unter Rz. 76.
Nach Ansicht der Finanzverwaltung können die Token je nach konkreter Ausgestaltung
- Eigenkapital (Kapitalüberlassung auf Dauer) oder
- Fremdkapital (Kapitalüberlassung auf Zeit)
darstellen. Als selbst hergestellte Wirtschaftsgüter sind sie mit den Herstellungskosten zu aktivieren.
Bei Ausgabe der Token gegen andere Coins (z.B. BTC, ETH) oder bei Veräußerung realisiert sich nach Auffassung der Finanzverwaltung ein Gewinn oder Verlust. Abhängig von den konkreten Ausgabebedingungen können vertragliche Verpflichtungen gegenüber den Inhabern der Token resultieren, die ggf. als Verbindlichkeiten oder Rückstellungen auszuweisen sind.
4. Steuerliche Behandlung beim Investor
Zur ertragsteuerlichen Behandlung beim Investor verhält sich das BMF-Schreiben indes nicht explizit. Hier sind die allgemeinen Ausführungen heranzuziehen. Es lässt sich wie folgt differenzieren:
- Einstufung als Wertpapier
- Einstufung als Schuldverschreibung
a) Einstufung als Wertpapier
Werden die emittierten Token als Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 WpHG eingestuft, sind die laufenden Erträge nach Ansicht der Finanzverwaltung als Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu besteuern. Die Veräußerung der Token unterliegt konsequenterweise der Besteuerung nach § 20 Abs. 2 EStG. Zur Einordnung als Wertpapier verweist das BMF-Schreiben auf das Hinweisschreiben der BaFin vom 20.2.2018 (Gz. WA 11-...