a) Berücksichtigung früherer Erwerbe
Mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Erwerbe sind bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer des jeweils letzten Erwerbs im Zehn-Jahres-Zeitraum mit diesem letzten Erwerb zusammenzurechnen (§ 14 ErbStG). (Hinweis: Führt der Eintritt eines Ereignisses mit Wirkung für die Vergangenheit zu einer Veränderung des Werts eines früheren, in die Zusammenrechnung nach § 14 Abs. 1 ErbStG einzubeziehenden Erwerbs, gilt das Ereignis auch für den späteren Erwerb als Ereignis mit Wirkung für die Vergangenheit und somit als rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO).
Nach der Neuregelung in § 14 Abs. 2 ErbStG gilt: Führt der Eintritt eines Ereignisses mit Wirkung für die Vergangenheit zu einer Veränderung des Werts eines früheren, in die Zusammenrechnung nach § 14 Abs. 1 ErbStG einzubeziehenden Erwerbs, gilt dies auch für den späteren Erwerb als Ereignis mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis).
Beraterhinweis Anzumerken ist, dass auch der erstmalige Erlass, die Änderung und die Aufhebung eines Steuerbescheids für einen früheren, in die Zusammenrechnung einzubeziehenden Erwerb als rückwirkendes Ereignis gelten; ebenso der Eintritt eines Ereignisses mit Wirkung für die Vergangenheit, soweit es zu einer Änderung der anrechenbaren Steuer führt (so schon bisher § 14 Abs. 2 Satz 2 ErbStG).
b) Auswirkung für die Praxis
Durch die Neuregelung wird praktisch der durch die BFH-Rspr. (BFH v. 12.7.2017 – II R 45/15, BStBl. II 2017, 1120 = ErbStB 2017, 298 [Marfels] = EStB 2017, 399 [Günther] = AO-StB 2017, 336 [Esskandari/Bick]) "aufgedeckte Umstand, dass eine (z.B. infolge einer Betriebsprüfung) geänderte Steuerfestsetzung für den Vorerwerb für sich allein gesehen kein rückwirkendes Ereignis ist und dass deswegen keine Änderung der Steuerfestsetzung für den nachfolgenden Erwerb möglich ist"beseitigt. Damit werden auch die Regelungen in R E 14.3 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2019 und in H E 14.3 "Änderung der Schenkungsteuerfestsetzung für den Vorerwerb für sich kein rückwirkendes Ereignis" ErbStH 2019 obsolet.
c) Berechnung
Die neue Berechnung wird im Erlass in einem umfangreichen Berechnungsbeispiel erläutert. In dem Beispiel ging es darum, dass A der B, der Tochter seiner Schwester (Steuerklasse II) im Januar 2021 ein unbebautes Grundstück schenkt, dessen Wert mit 30.000 EUR erklärt wurde. Im Mai 2021 schenkt A der B darüber hinaus einen Geldbetrag von 45.000 EUR (es erfolgt eine Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG). Nach Ergehen der beiden Steuerbescheide wurde der Wert des Grundstücks (früherer Erwerb) vom Lage-FA nachträglich auf 70.000 EUR festgestellt. Entsprechend musste die Steuerfestsetzung für den Vorerwerb (Zuwendung des Grundstücks an B im Januar 2021) geändert/erhöht werden (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Infolge der Neuregelung ergibt sich nunmehr auch eine höhere Steuer für den Gesamterwerb.
Nach der Rspr. des BFH wäre es bei der früheren Steuer für den Gesamterwerb geblieben.
Beraterhinweis Im Grunde ist die Berechnung der höheren Steuer Sache des FA. Für Steuerpflichtige von Interesse ist (naturgemäß) der Fall, in dem sich die Steuer für den Vorerwerb mindert. Hier kommt es zu einer niedrigeren Steuer für den Gesamterwerb. Im Zweifel ist auf eine entspr. Änderung hinzuwirken.