Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wegen Betriebsübergangs. Reichweite eines Kündigungsschutzantrags
Leitsatz (amtlich)
1. Der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG erstreckt sich regelmäßig auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses noch im vorgesehenen Auflösungszeitpunkt.
Deshalb kann im Rahmen einer Kündigungsschutzklage gegen eine erste Kündigung die Beendigungswirkung einer zweiten Kündigung geprüft werden, die nach Betriebsübergang von dem aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitgeber ausgesprochen worden ist, wenn sie das Arbeitsverhältnis bis zu dem Auflösungszeitpunkt der mit der Kündigungsschutzklage angegriffenen ersten Kündigung beenden soll.
Eine erfolgreiche gesonderte Kündigungsschutzklage gegen die vom Betriebsveräußerer ausgesprochene zweite Kündigung scheidet in einem solchen Fall aus, weil die Kündigung des Betriebsveräußerers nicht von dem aktuellen Vertragsarbeitgeber erklärt worden ist.
2. Kann der Arbeitnehmer aus dem zeitlichen und funktionellen Zusammenhang zwischen Kündigung und Betriebsübergang Tatsachen nachweisen, die die Kausalität mit genügender Wahrscheinlichkeit darstellen, so ist eine tatsächliche Vermutung für eine unwirksame Kündigung wegen des Betriebsübergangs im Sinne von § 613a Absatz 4 BGB zu bejahen, die der Arbeitgeber entkräften muss.
Dazu genügt eine nachvollziehbare Begründung für die Kündigung, die den Verdacht einer Kündigung wegen des Betriebsübergangs ausschließt, weil sie einen sachlichen Grund dafür enthält, dass die Kündigung nur äußerlich formal mit dem Betriebsübergang verbunden, nicht aber materiell wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist.
Normenkette
KSchG § 4 S. 1; BGB § 613a Abs. 4; BGB § 613a; KSchG § 4
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 03.03.2023; Aktenzeichen 6 Ca 12993/21) |
Tenor
I. Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen unter Klarstellung des Urteilsausspruchs:
Es wird festgestellt, dass die Kündigung mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht zum 30. April 2022 aufgelöst hat und das Arbeitsverhältnis auch nicht aufgrund eines anderen Umstandes, etwa der Kündigung mit Schreiben vom 30. November 2021, bis zu diesem Zeitpunkt geendet hat.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die im Dezember 1957 geborene Klägerin war seit Dezember 2010 bei der vor dem Arbeitsgericht zunächst als Beklagte zu 2 mitverklagten S. Software GmbH (im Folgenden: Vorarbeitgeberin) in deren Betrieb in Berlin mit regelmäßig weniger als zehn Mitarbeitern beschäftigt. Dort war die Klägerin als Key-Account-Managerin tätig.
Die Beklagte, die mindestens 240 Mitarbeiter beschäftigt, übernahm zum 1. April 2020 die Gesellschaftsanteile an der Vorarbeitgeberin. Der Vorstandsvorsitzende der Beklagten, Herr T., wurde zum weiteren Geschäftsführer der Vorarbeitgeberin bestellt.
Am 24. September 2021 schlossen die Beklagte und die Vorarbeitgeberin einen notariell beurkundeten Vertrag über eine Verschmelzung. Mit Schreiben vom 27. September 2021 informierten sie die Klägerin über die beabsichtigte Verschmelzung und den damit zum Zeitpunkt der Eintragung der Verschmelzung voraussichtlich im Dezember 2021 eintretenden Betriebsübergang und Übergang des Arbeitsverhältnisses.
Ab dem 8. November 2021 nahm die Klägerin an einer bei der Beklagten an deren Betriebsstätte in Wiesbaden durchgeführten Trainee-Maßnahme teil.
Am 9. Dezember 2021 ging der Klägerin ein auf den 13. Dezember 2021 datiertes Schreiben der Vorarbeitgeberin zu, mit dem diese die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2022 erklärte (im Folgenden: erste Kündigung).
Am 15. Dezember 2021 erfolgte die Eintragung der Verschmelzung.
Am 23. Dezember 2021 erhielt die Klägerin ein weiteres Schreiben der Vorarbeitgeberin, datiert auf den 30. November 2021, in dem diese die ordentliche Kündigung zum 31. März 2022 erklärte (im Folgenden: zweite Kündigung).
Mit der am 23. Dezember 2021 eingereichten und der Beklagten am 31. Dezember 2021 zugestellten Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der ersten Kündigung geltend gemacht, mit am 4. Januar 2021 eingereichtem und am 14. Januar 2022 zugestelltem Schriftsatz die der zweiten Kündigung. Vor dem Arbeitsgericht hat sie vorgetragen, es werde davon ausgegangen, dass der Betriebsübergang bereits vor dem 13. Dezember 2021 erfolgt sei. Sie hat die Auffassung vertreten, beide Kündigungen seien unwirksam, weil sie wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen worden seien. Sie sei der Beklagten als Mitarbeiterin schlichtweg zu teuer gewesen und eine Schulung auf die komplexe Software zu kostenintensiv. Die Beklagte benötige aufgrund der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes einen wichtigen Grund für eine ordentliche Kündigung.
Sie hat beantragt, festzustellen,
dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ... nicht durch die Kündigungen der S. Software GmbH vom 30. November und vom 13...