Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Beschäftigungszeitraums für Corona-Prämie von Pflegekräften. Auswirkung von Zeiten der Arbeitslosigkeit auf Corona-Prämie. Unbeachtlichkeit der Fristversäumung des Arbeitgebers zur Meldung der Prämie gegenüber der Pflegekasse für Beschäftigten. Vererbbarkeit der Corona-Prämie
Leitsatz (amtlich)
1. § 150 a Absatz 2 Satz 1 SGB XI sieht nicht vor, dass der Beschäftigungszeitraum von drei Monaten innerhalb der Frist vom 01. März 2020 bis 31. Oktober 2020, den Pflegekräfte vorweisen müssen, um die Corona-Prämie nach dieser Vorschrift beanspruchen zu können, zusammenhängend verlaufen muss. Seiner Berechnung ist § 191 BGB zugrunde zu legen.
2. Eine nach § 150 a Absatz 5 SGB XI schädliche Unterbrechung führt nicht dazu, dass der Beschäftigungszeitraum neu zu laufen beginnt und vor der Unterbrechung zurückgelegte Beschäftigungszeiten unbeachtlich sind.
3. Darauf, dass die Pflegeeinrichtung die fristgerechte Geltendmachung der Vorauszahlung für die Corona-Prämie gegenüber der Pflegekasse unterließ und es deshalb nicht zu der in § 150 a Absatz 8 Satz 1 SGB XI vorgesehenen Vorauszahlung kam, kann sie sich gemäß § 162 Absatz 1 BGB gegenüber der anspruchsberechtigten Pflegekraft nicht mit Erfolg berufen.
4. Der Anspruch auf die Corona-Prämie ist gemäß § 1922 BGB vererbbar.
Normenkette
SGB XI § 150a; BGB §§ 191, 1922 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1, § 239 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 16.11.2021; Aktenzeichen 36 Ca 409/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. November 2021 - 36 Ca 409/21 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 974,10 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2021 zu zahlen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision der Beklagten wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sonderleistung während der Coronavirus-SARS-CoV-2-Pandemie.
Die Beklagte betreibt eine zugelassene Pflegeeinrichtung. Der Kläger ist Alleinerbe einer vom 01. August 2019 bis zum 23. September 2020 bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden beschäftigten und zwischen dem 30. und 31. Januar 2021 verstorbenen Pflegekraft (im Folgenden: Erblasser).
Der Erblasser war in der Zeit ab dem 1. März 2020 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses während folgender Zeiträume arbeitsunfähig erkrankt: 17. April 2020 bis 6. Mai 2020, 3. Juli 2020 bis 19. Juli 2020, 19. August 2020 bis 29. August 2020 und 3. September bis 23. September 2020. Mit Schreiben vom 26. September 2020 (Blatt 8 der Akte) machte er erfolglos gegenüber der Beklagten die Auszahlung einer Sonderleistung nach § 150 a Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) geltend (Corona-Prämie).
Mit der noch vom Erblasser eingereichten und beim Arbeitsgericht am 12. Januar 2021 eingegangenen sowie der Beklagten am 20. Januar 2021 zugestellten Klage hat der Erblasser den Anspruch auf eine im Land Berlin gemäß § 150 a Absatz 9 Nummer 1 SGB XI für Vollzeitkräfte auf 1.500,00 Euro erhöhte Sonderleistung in der seiner Teilzeitquote von 64,94 % entsprechenden Höhe weiterverfolgt. Der nach dem Tod des Erblassers den Rechtsstreit aufnehmende Kläger hat sodann vorgetragen, die länger als 14 Tage andauernden krankheitsbedingten Fehlzeiten des Erblassers führten lediglich zu einer Verlängerung des für den Anspruch auf die Sonderleistung erforderlichen dreimonatigen Zeitraums, nicht aber zu einem Neubeginn der Berechnungszeit.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 974,10 EUR brutto Corona-Prämie 2020 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass der Anspruch auf eine Corona-Prämie schon deswegen nicht bestehe, weil es zu einer krankheitsbedingten Unterbrechung von mehr als 14 Tagen gekommen sei.
Mit Urteil vom 16. November 2021 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Erblasser sei im nach § 150 a SGB XI maßgeblichen Bemessungszeitraum vom 01. März 2020 bis 31. Oktober 2020 nicht ohne bloß unbeachtliche Unterbrechungen mindestens drei Monate bei der Beklagten tätig gewesen. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten vom 17. April 2020 bis 06. Mai 2020, vom 03. Juli 2020 bis 19. Juli 2020 und vom 03. September 2020 bis 23. September 2020 seien keine nach § 150 a Absatz 5 SGB XI unbeachtlichen Unterbrechungen gewesen und hätten jeweils zu einem Neubeginn für die Berechnung des erforderlichen dreimonatigen Zeitraums geführt, den der Erblasser nicht erfüllt habe. Aus dem Wortlaut des § 150 a Absatz 5 SGB XI und dem dort verwendeten Begriff der Unterbrechung, die in anderen Regelungszusammenhängen, etwa gemäß § 249 Absatz 1 ZPO, zum Neubeginn laufender Fristen führe, folge, dass nicht bloß eine Verlängerung des Dreimonatszeitraums eintrete. Auch der Begriff de...