Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Unkündbarkeit. außerordentliche betriebsbedingte Kündigung
Leitsatz (amtlich)
1.Macht der Arbeitnehmer im Rahmen einer gegen denbisherigen Arbeitgeber erhobenen Kündigungsschutzklagegeltend, dass es vor dem Kündigungstermin zu einemBetriebsübergang gekommen sei, hat er sein Klagebegehren aufFeststellung der Unwirksamkeit der Kündigung zu beschränken.Will er gleichwohl mit dem Antrag nach § 4 KSchG auch ein imKündigungszeitpunkt und -termin zum bisherigen Arbeitgeberbestehendes Arbeitsverhältnis festgestellt wissen, ist insoweit dieKlage regelmäßig derzeit unzulässig und teilweise abzuweisen.
2.Die wegen Betriebsaufgabe erfolgte Kündigung des bisherigenArbeitgebers ist grundsätzlich iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ausbetriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. DieBetriebsveräußerung führt im allgemeinen auch nicht gemäß §613 a Abs. 4 Satz 1 BGB zur Unwirksamkeit der Kündigunggegenüber dem Veräußerer (vgl. BAG 20.09.2006 - 6 AZR 249/05- Rn. 30), sondern "nur" gegenüber dem Erwerber. Dieser kanndem Fortsetzungsanspruch nicht die nach § 4 KSchG oder § 7KSchG anzunehmende Wirksamkeit der Veräußererkündigungentgegenhalten.
Leitsatz (redaktionell)
Im Fall des Betriebsübergangs ist eine Kündigungsschutzklage auch isoliert auf die Unwirksamkeit der Kündigung gerichtet zulässig, ohne dass eine Feststellung des zum Kündigenden bestehenden Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden muss.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Essen (Urteil vom 13.10.2010; Aktenzeichen 4 Ca 1667/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 13.10.2010 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 28.05.2010 unwirksam ist.
Im übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist. Das Arbeitsgericht hat die Kündigung für rechtsfehlerhaft erachtet und in der von der Beklagten aufgegebenen Betriebstätigkeit keinen (wegen tariflicher Unkündbarkeit des Klägers erforderlichen) wichtigen Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gesehen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des C.-Konzerns. Seit März 2011 befindet sie sich in Liquidation. Der C.-Konzern besteht aus der C. Holding GmbH und derzeit fünf operativen Tochtergesellschaften, nämlich der C. Beratung GmbH (nachfolgend: C.), C. Technik GmbH, C. Service GmbH, der C. Software GmbH sowie C. Vertriebs- und Projekt GmbH (VP). Gesellschafter der Unternehmensgruppe sind die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die DAK-Unternehmen Leben, HEK, hkk, die Knappschaft und der Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen. Der C.-Konzern ist Full-Service-Anbieter im IT-Markt der gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Gesellschafter von C. sind zugleich deren Kunden. Daneben hat der C.-Konzern in geringem Umfang weitere Krankenkassen als Kunden.
Die Beklagte übernahm mit ihrer Gründung im Jahr 2008 die J. West eG. Diese war ihrerseits eine privatrechtliche Ausgründung der Abteilung/Arbeitsgemeinschaft J. West des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen Nordrhein-Westfalen (LV BKK) und hatte zum 01.01.2000 die damals in der Abteilung J. West des LV BKK beschäftigten Mitarbeiter übernommen, darunter den Kläger.
Der Kläger, am 03.06.1950 geboren, verheiratet, trat zum 01.04.1984 in die Dienste des LV BKK. Zum 01.01.2000 ging das Arbeitsverhältnis gem. § 613 a BGB über auf die J. West eG, Anfang 2008 auf die Beklagte. Der Kläger war dem Bereich Informatik zugeordnet und dort zuletzt als stellvertretender Bereichsleiter eingesetzt und für die Abteilung LAN/WAN im RN-Betrieb verantwortlich.
Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem LV BKK fanden kraft Bezugnahme im Arbeitsvertrag vom 19.12.1985 der BAT und der diesen übernehmenden BAT/BKK (§ 2) sowie die ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung. Anlässlich des Übergangs zur J. West eG wurde den Beschäftigten im Überleitungstarifvertrag die uneingeschränkte Fortgeltung des BAT/BKK zugesagt. Am 15.11.2004 kam es bei der J. West eG zum Abschluss eines Firmentarifvertrages (FirmenTV-J.). Dieser schreibt in § 23 Abs. 2 die Unkündbarkeitsregelung des § 53 Abs. 3, § 55 BAT fort. § 23 Abs. 3 FirmenTV-J. schließt Änderungskündigungen zum Zwecke der Herabgruppierung aus. Zum 01.01.2010 wurden für sämtliche Unternehmen des C.-Konzerns und so auch für die Beklagten ein Überleitungstarifvertrag sowie ein Manteltarifvertrag geschlossen (MTV-C.). In § 10 MTV-Bismarck ist bestimmt, dass die Beschäftigten einer Gesellschaft vorübergehend in der Betriebsstätte eine anderen Gesellschaft eingesetzt werden können. Im MTV-Bismarck ist ein Sonderkündigungsschutz („tarifliche Unkündbarkeit”) nicht mehr vorgesehen.
Bei der Beklagten existierten – neben...