Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Erbringung der geschuldeten Leistung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer Kündigung wegen körperlicher oder gesundheitlicher Ungeeignetheit zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung finden die Grundsätze der krankheitsbedingten Kündigung Anwendung, wenn es sich um einen Zustand von Dauer oder einen solchen auf unbestimmte Zeit handelt oder der Arbeitnehmer objektiv nicht in der Lage, diese Gründe zu beseitigen, so daß eine Abmahnung nicht erfolgversprechend ist und somit auch nicht erforderlich sein kann.
2. Ist anerkannt, daß ein alkoholabhängiger Arbeitnehmer durch eine Entziehungskur seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangen kann und ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Erfolg oder Mißerfolg einer ersten Heilbehandlung entgegenzusehen (LArbG Frankfurt vom 26.6.1986, 12 Sa 259/86 = LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr 8; LArbG Hamm vom 19.9.1986, 16 Sa 833/86 = NZA 1987, 669), dann muß man ihn auch in Fällen krankheitsbedingter Leistungsunfähigkeit grundsätzlich für verpflichtet halten, vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung erst einmal eine erfolgversprechende Heilbehandlungsmaßnahme abzuwarten.
3. Bei krankheitsbedingter Unfähigkeit zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung ist - wie bei langanhaltender Erkrankung - notwendig, daß der Arbeitnehmer, der um seinen Gesundheitszustand weiß, konkrete Tatsachen vorträgt, die den Schluß zulassen, er werde alsbald genesen oder nach Durchführung einer Heilbehandlungsmaßnahme - hier: ganzheitsmedizinische Behandlung nach schwerem Herzinfarkt - wieder gesund und seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangen, anderenfalls der Arbeitgeber die Heilbehandlungsmaßnahme nicht abwarten muß.
4. Kann ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen einen Teil der vertraglich geschuldeten Arbeit überhaupt nicht mehr leisten, so ist eine darauf gestützte Kündigung des Arbeitgebers im allgemeinen nur dann sozial gerechtfertigt, wenn eine anderweitige Beschäftigung nicht möglich oder zumutbar ist. Die Möglichkeit der Um- oder Versetzung setzt neben der Kenntnis, welche Tätigkeit der Arbeitnehmer gesundheitlich überhaupt noch verrichten darf, auch das Vorhandensein eines solchen freien, dh im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzten bzw bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freiwerdenden Arbeitsplatzes voraus.
5. Die sich aus § 1 Abs 2 S 3 KSchG ergebende Sozialwidrigkeit der Kündigung bei Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen setzt das tatsächliche Vorhandensein eines freien Arbeitsplatzes zum Zeitpunkt der Beendigung der Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme voraus (BAG vom 7.2.1991, 2 AZR 205/90 = EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr 9). Anders kann es auch nicht sein, wenn ein Arbeitnehmer nach Durchführung einer Heilbehandlungsmaßnahme an einem dann seinem Gesundheitszustand entsprechenden, anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden möchte.
6. Eine ohne Anhörung des Sprecherausschusses ausgesprochene Kündigung eines leitenden Angestellten ist rechtsunwirksam § 31 Abs 2 S 3 SprAuG in Verbindung mit § 134 BGB). Die Sach- und Rechtslage ist insoweit der bei Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch einer Kündigung des Arbeitgebers gegenüber einem Arbeitnehmer in nichtleitender Stellung vergleichbar, so daß die dazu ergangene Rechtsprechung zur Frage der ordnungsgemäßen Anhörung des Sprecherausschusses, insbesondere zum Umfang der Unterrichtungspflicht, im vollen Umfang übertragbar ist.
Orientierungssatz
Revision eingelegt, 2 AZR 539/92.
Verfahrensgang
ArbG Bochum (Entscheidung vom 19.12.1991; Aktenzeichen 4 Ca 1380/91) |
Nachgehend
Fundstellen