Entscheidungsstichwort (Thema)
Schriftformerfordernis bei Sonderkündigungsrecht mit Ankündigungsfrist. Zwingendes Schriftformerfordernis bei Kündigungen gem. § 623 BGB. Abwicklungsvertrag und Kündigung. Begründung des Schriftformzwangs bei Kündigungen. Ersatz der Schriftform durch elektronische Form mit Namensunterzeichnung und elektronischer Signatur. Keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch elektronische Form. Strikte Trennung zwischen den Formvorschriften des Bürgerlichen Rechts und denjenigen des Prozessrechts. Treuwidriges Berufen auf den Formmangel des § 623 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einräumung des Rechtes für eine Partei eines Arbeitsvertrages mit einer bestimmten Ankündigungsfrist vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu können, stellt ein § 12 Satz 1 KSchG vergleichbares Sonderkündigungsrecht dar, welches in einem Abwicklungsvertrag eingeräumt werden kann, dessen Ausübung jedoch dem Schriftformerfordernis des § 623 BGB unterfällt.
2. § 623 BGB erfasst jedes Arbeitsverhältnis. Der Gesetzgeber hat das Schriftformerfordernis als konstitutiv angesehen. Es handelt sich deshalb um zwingendes Recht, welches weder durch vertragliche noch durch tarifvertragliche Regelungen abbedungen werden kann (BAG, Urteil vom 17.12.2015 - 6 AZR 709/14 - Rn. 35, juris).
3. Soll die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, so muss der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen (§ 126a BGB). Eine solche Ersetzung ist jedoch nur möglich, wenn die elektronische Form nicht durch Gesetz ausgeschlossen ist.
4. Für Kündigungen ist gemäß § 623 2. Halbsatz BGB der Ausschluss der elektronischen Form normiert. Damit hat der Gesetzgeber eindeutig zu verstehen gegeben, dass das Schriftformerfordernis konstitutiv ist, die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch elektronische Form nicht in Betracht kommt.
5. Die Formvorschriften des Bürgerlichen Rechts sind von denen des Prozessrechts strikt zu unterscheiden. Sie können wegen der Eigenständigkeit des Prozessrechts weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozesshandlungen angewendet werden. Die Möglichkeit der Nutzung der qualifizierten elektronischen Signatur und Übermittlung durch das besondere Anwaltspostfach dient der Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren, verfolgt damit eine andere Ziel- und Zweckrichtung als die Formvorschriften des BGB. Es bedarf keiner Übertragung des für das Prozessrecht vorgesehenen Beschleunigungs- und Vereinfachungseffekts auf den Ausspruch von Kündigungen für Arbeitsverhältnisse.
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit einem Abwicklungsvertrag vereinbaren die Parteien nach Erklärung einer Kündigung die Bedingungen, zu denen der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird nicht durch den Abwicklungsvertrag bewirkt, sondern durch die ausgesprochene Kündigung.
2. Das Schriftformerfordernis soll Rechtssicherheit für die Vertragsparteien und eine Beweiserleichterung im Rechtsstreit bewirken. Die von dem Aussteller der Urkunde geleistete Unterzeichnung dient der Identitätsfunktion. Durch die Verbindung zwischen Unterschrift und Erklärungstext wird die Echtheitsfunktion gewährleistet. Schließlich erhält der Empfänger der Erklärung die Möglichkeit zu überprüfen, wer die Erklärung abgegeben hat und ob die Erklärung echt ist (Verifikationsfunktion). Die Schriftform des § 623 i.V.m. § 126 BGB schützt damit vor allem den Kündigungsempfänger.
3. Eine treuwidrige Berufung auf den Formmangel nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Ergebnis für einen Vertragsteil schlechthin untragbar ist und Umstände hinzukommen, die das Verhalten des Berechtigten in hohem Maße als widersprüchlich erscheinen lassen.
Normenkette
BGB §§ 623, 126, 125, 127 Abs. 2; KSchG § 12 Abs. 1; BGB §§ 242, 126a; NachwG § 2 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 20.09.2022; Aktenzeichen 13 Ca 99/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund - Kammern Neubrandenburg - Aktenzeichen 13 Ca 99/22 vom 20.09.2022 abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten wegen einer Abfindungszahlung um die Frage der formgerechten Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger war seit ca. 14 Jahren bei der Beklagten als Küchenleiter zu einer monatlichen Bruttovergütung von 2.700,00 € beschäftigt. Mit Schreiben vom 17.06.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich, vorsorglich ordentlich zum 30.11.2021. In dem wegen dieser Kündigung geführten Rechtsstreit schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich. Dieser lautet u.a.:
"1.
Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis du...