Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung wegen Tätlichkeit gegenüber Arbeitskollegen. Ausgießen von heisser Flüssigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Gießt ein Arbeitnehmer (Müllwerker) im Verlaufe einer Auseinandersetzung über seinem Kollegen eine Tasse mit heißem Tee aus, liegt darin eine schwere Tätlichkeit, die zu erheblichen Verletzungen (insbesondere in Form von Verbrennungen) führen kann. Dieses Verhalten begründet selbst dann „an sich” einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung, wenn der angegriffene Kollege den Streit provoziert und zuvor seinerseits dem anderen Arbeitnehmer warmen Kaffee ins Gesicht geschüttet hat. Jeder Arbeitnehmer, der sich mit Angriffswillen an einer tätlichen Auseinandersetzung unter Kollegen beteiligt, ohne dass eine eindeutige Notwehrlage bestanden hat, bewirkt oder fördert eine ernstliche Störung des Betriebsfriedens und der betrieblichen Ordnung. Das gilt uneingeschränkt auch dann, wenn der Umgangston unter den Arbeitnehmern (Müllwerkern) als „etwas rauher” beschrieben wird.
2. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere den Ursachen des Streites und der Gefährlichkeit des Angriffs sowie seiner tatsächlichen Folgen, kann sich im Einzelfall eine Abmahnung ausnahmsweise als ausreichend erweisen, wenn Tatsachen eine störungsfreie Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und Wiederherstellung des Betriebsfriedens prognostizieren lassen. Die Annahme einer solchen Prognose setzt neben einem störungsfreien Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit u. a. die gegenseitige Entschuldigung der beteiligten Arbeitnehmer voraus.
Normenkette
BMT-G II § 53; BGB § 626 II
Verfahrensgang
ArbG Wilhelmshaven (Urteil vom 15.02.2002; Aktenzeichen 1 Ca 747/01) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 15.02.2002 – 1 Ca 747/01 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche, verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Der am … geborene, ledige Kläger war bei der Beklagten seit dem 03.04.1991 als Müllwerker beschäftigt. In der Abteilung Abfallentsorgung sind etwa 50 Mitarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) vom 30.01.1962 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung.
Ausgelöst wurde die Kündigung durch einen Vorfall, der sich am 02.07.2001 gegen Mittag zutrug. Der Kläger suchte den Sozialraum auf und traf dort auf seinen Kollegen B., der mit zwei weiteren Kollegen am Tisch saß und Karten spielte. Herr B. äußerte sich über den Kläger bei der Begrüßung abfällig, was dieser zum Anlass nahm, die Schnappverschlüsse der Hosenträger an der Latzhose des Herrn B. zu öffnen. Herr B. erwiderte dieses Verhalten, indem er die vor ihm auf dem Tisch stehende Tasse mit Kaffee in die Hand nahm und den Inhalt über die Schulter dem hinter ihm sitzenden Kläger ins Gesicht schüttete. Daraufhin goss der Kläger über Herrn B. eine Tasse mit heißem Tee aus.
Herr B. beschwerte sich nachmittags bei seinem Vorgesetzten über den Kläger, füllte eine Unfallmeldung aus und gab dort zu Protokoll, er habe sich den linken Halsbereich verbrannt. In einer ärztlichen Bescheinigung, die am 16.04.2001 ausgestellt wurde, heißt es:
„Obengenannter Patient erlitt am 02.07.2001 gegen 11.55 Uhr eine Verbrühung bzw. Verbrennung ersten Grades im Bereich der Schulter und linken Halsseite. … Bei der Erstuntersuchung zeigte sich eine Hautrötung im Bereich der linken Schulter und der linken Halsseite ohne Bildung von Hautblasen. Die Verbrühungsverletzungen heilten folgenlos ab. Es erfolgte hier eine einmalige Behandlung am 02.07.2001.”
Nachdem die Beklagte den Kläger und die beteiligten Kollegen zu dem Vorfall angehört hatte, erklärte Herr B. am 06.07.2002 mündlich und am 09.07.2001 schriftlich, der Kläger habe sich bei ihm persönlich entschuldigt.
Die Beklagte beschloss, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich zu kündigen. Gegen Herrn B. sollten keine Maßnahmen ergriffen werden, da das Arbeitsverhältnis am 31.08.2001 wegen Eintritts in den Ruhestand enden würde. Die Beklagte unterrichtete den Gesamtpersonalrat über die beabsichtigte Kündigung. Dieser lehnte die Benehmensherstellung unter dem 13.07.2001 ab. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17.07.2001 außerordentlich zum Ablauf des 20.07.2001.
Dagegen richtet sich die Kündigungsschutzklage vom 27.07.2001, mit der der Kläger die Auffassung vertreten hat, der Sachverhalt rechtfertige keine außerordentliche Kündigung. Er hat vorgetragen, von Herrn B. als „Pflegefall” beschimpft worden zu sein, worauf das Öffnen der Hosenträger als „Frotzelei unter Kollegen” keine ungewöhnliche Reaktion dargestellt habe. Soweit Herr B. dies zum Anlass genommen habe, ihm eine volle heiße Tasse Kaffee ins...