Leitsatz (amtlich)
In den Fällen der Tarifpluralität ist bei Inhaltsnormen jeweils nur der Tarifvertrag anzuwenden, der mit der Gewerkschaft abgeschlossen ist, der die betroffenen Arbeitnehmer angehören. Das Prinzip der Tarifeinheit, wonach entsprechend dem Grundsatz der Spezialität dem sachnäheren Tarifvertrag der Vorzug zu geben wäre, greift nicht ein (abweichend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. Urteil vom 30.03.1991 – 4 AZR 455/90 – AP 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz.)
Normenkette
VG §§ 3-4
Verfahrensgang
ArbG Hameln (Zwischenurteil vom 26.11.1998; Aktenzeichen 1 Ca 468/98) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 26.11.1998 – 1 Ca 468/98 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit der vorliegenden Klage wendet sich die Klägerin gegen eine Entgeltkürzung für die Monate Februar bis Juli 1998.
Die Klägerin, die Mitglied der Gewerkschaft … ist, war in der Zeit vom 01.05.1995 bis zum 12.09.1998 in der von der Beklagten betriebenen Kurklinik … in … als Bürofachkraft beschäftigt. Am 17.03.1998 schloß die Beklagte mit drei Gewerkschaften, nämlich der dem Deutschen Handels- und Industrieangestellten-Verband und dem Verband der weiblichen Angestellten e.V. – nicht aber mit der Gewerkschaft …. einen am 01.02.1998 in Kraft tretenden „Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT”. Dieser Tarifvertrag regelt eine Gehaltsreduzierung für die Mitarbeiter der Kureinrichtungen … und … auf letztlich 85 %. Wegen der Einzelheiten der tariflichen Regelungen wird auf die mit Schriftsatz der Beklagten vom 28.09.1998 überreichten Kopien der genannten Tarifverträge (Bl. 24 bis 32 d.A.) verwiesen.
Die Beklagte nahm für die Monate Februar bis Juli 1998 aufgrund der tariflichen Regelungen Entgeltkürzungen in Höhe von insgesamt 1.361,08 DM vor. Mit Schreiben vom 05.08.1998 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Zahlung dieses Differenzbetrages geltend.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Ergänzungstarifverträge vom 17.03.1998 seien für sie nicht anwendbar, da insoweit keine Tarifbindung gegeben sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.361,08 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 04.09.1998 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, zwischen den unterschiedlichen Tarifverträgen bestehe aufgrund der teilweise voneinander abweichenden Inhalte Tarifkonkurrenz, diese sei nach dem Grundsatz der Spezialität zu lösen. Dabei seien die Firmentarifverträge vom 17.03.1998 als die speziellere Regelung anzusehen. Die Beklagte hat behauptet, die Regelungen des Ergänzungstarifvertrages Nr. 4 b zum EKT seien Voraussetzung für einen Weiterbetrieb der Kureinrichtungen durch sie (die Beklagte) gewesen.
Durch Urteil vom 26.11.1998 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.361,08 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den entsprechenden Nettobetrag seit dem 04.09.1998 zu zahlen, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 1.361,08 DM festgesetzt.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, nach dem Grundsatz der Tarifeinheit wäre der Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b für die Klägerin maßgeblich, dieser Grundsatz gelte im Fall der Tarifpluralität – wie vorliegend – jedoch nicht. Abweichend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne der Grundsatz der Tarifeinheit hier nicht zum Tragen kommen, er sei nicht ausdrücklich im Gesetz verankert und führe in Fällen der Tarifpluralität zu einer Einschränkung der Koalitionsfreiheit.
Das Urteil ist der Beklagten am 23.03.1999 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 22.04.1999 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 08.06.1999 am 07.06.1999 begründet.
Die Beklagte ist der Ansicht, der Ergänzungstarifvertrag Nr. 4 b zum EKT sei bereits deshalb anzuwenden, weil einzelarbeitsvertraglich die Vereinbarung getroffen sei, daß für das Arbeitsverhältnis der EKT mit seinen Anlagen in der jeweils verbindlichen Fassung gelte. Die Rechtssicherheit und das erhebliche Interesse der Rechtsklarheit in einem Betrieb erfordere eine betriebseinheitliche Anwendung von Tarifverträgen. Aufgrund der teilweise voneinander abweichenden Inhalte der verschiedenen Tarifverträge bestehe Tarifkonkurrenz, die nach allgemeiner Ansicht nach dem Grundsatz der Spezialität zu lösen sei. Jedenfalls sei der Ergänzungstarifvertrag nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aufgrund der Tarifpluralität für die Klägerin maßgeblich. Gerade in Anbetracht des angestrebten und auch erreichten Zieles des Ergänzungstarifvertrages sei die Koalitionsfreiheit nicht über den Grundsatz der Tarifeinheit zu stellen.
Die Beklagte beantragt,
das am 26.11.1998 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Hameln, 1 Ca 468/98, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin ist der Ansicht, der von...