Entscheidungsstichwort (Thema)
Unangemessene Benachteiligung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Ermittlung einer unangemessenen Benachteiligung. Rechtscharakter der AVR Caritas. Zielsetzung der Betriebsübergangsregelung des § 613a Abs. 1 BGB. Prüfung der Sittenwidrigkeit bei Absenkung des Vergütungsniveaus
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 307 Abs. 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Dabei kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich oder dass sie überraschend ist.
2. Bei der Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen. Abzuwägen sind die Interessen des Verwenders gegenüber den Interessen der typischerweise beteiligten Vertragspartner. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind Art und Gegenstand, Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts zu berücksichtigen.
3. Die AVR Caritas sind keine Tarifverträge oder Betriebs- und Dienstvereinbarungen und diesen auch nicht gleichzustellen. Es handelt sich bei kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen, welchen mangels normativer Wirkung in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen nur über Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen Wirkung verschafft werden kann.
4. Die Vorschrift des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gewährt einen Schutz des Inhalts der Arbeitsverhältnisse. Allein der Betriebsübergang soll sich weder auf den Bestand noch auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses nachteilig auswirken. Alle bestehenden Rechte und Pflichten sollen vom Betriebserwerber übernommen werden.
5. Die Voraussetzungen einer Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB (wucherähnliches Geschäft) sind dann zu bejahen, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinanderstehen und weitere Umstände wie zum Beispiel eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag Begünstigten hinzutreten. Die Absenkung des Vergütungsniveaus der AVR Caritas um 8,91 % bedeutet unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe keine erhebliche, ohne weiteres ins Auge springende und regelmäßig nicht mehr hinnehmbare Abweichung von den kirchlich vorgesehenen Vergütungssätzen der AVR Caritas.
Normenkette
BGB §§ 134, 138 Abs. 1, § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 310 Abs. 4 S. 3, § 397 Abs. 1, § 613a Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 10.03.2022; Aktenzeichen 6 Ca 625/21) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 10.03.2022, Az.: 6 Ca 625/21, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Differenzvergütung nach Abschluss einer Änderungsvereinbarung im Zusammenhang mit einer sogenannten "Reha-Rahmenvereinbarung".
Der 1959 geborene Kläger ist seit dem 01.04.1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin (C. Trägergesellschaft C-Stadt e. V. [im Folgenden: c.], später: Cu. Trägergesellschaft C-Stadt mbH [im Folgenden: c. mbH]) zunächst als Krankengymnast und aktuell als Abteilungsleiter Physikalische Therapie, Sport- und Bewegungstherapie in der Psychosomatischen Fachklinik St. F.-Stift in B.-Stadt beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Dienstvertrag vom 20.02.1992 (Bl. 8 f. d. A.) zugrunde. Nach § 2 Satz 1 dieses Dienstvertrages galten für das Dienstverhältnis die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (im Folgenden: AVR Caritas) in ihrer jeweils geltenden Fassung.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die c. mbH, ist ein gemeinnütziger Rechtsträger von Einrichtungen im Sozial- und Pflegedienst. Sie bekennt sich zur Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (im Folgenden: GrO) und wendet in ihren Einrichtungen ein Arbeitsrechtsregime an, das durch paritätisch besetzte Kommissionen im kirchlichen Bereich auf dem Dritten Weg zustande gekommen ist. Dies sind heute durchgehend in sämtlichen Arbeitsverhältnissen, mit Ausnahme der leitenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die AVR Caritas. Die c. mbH war bzw. ist kirchenrechtlich zur Anwendung der AVR Caritas auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter verpflichtet. Neben Einrichtungen der Altenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe sowie der medizinischen Akutversorgung betrieb die c. im Jahr 2013 auch fünf Kliniken der medizinischen Rehabilitation.
Die Arbeitsleistung in Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation ist in den Vergütungsstrukturen der AVR Caritas nicht gesondert geregelt.
Die vergütungsrelevanten Vorschriften der AVR Caritas wurden erstmals bereits im Jahr 2003 (immer wieder befristet) durch Beschlüsse der Regionalkommission Mitte des deutschen Caritasverbandes für die Einrichtungen der Rechtsvorgängerin abgeändert (zuletzt durch einen Spruch des Vermittlungsaussch...