Rz. 135
Die Abgabenordnung als Grundordnung des steuerlichen Verfahrensrechts wäre ohne die Verweisung in § 2 Abs. 5 Nr. 1 AO auf das Verfahren zur Festsetzung des Grundsteuermessbetrags (Rz. 448 ff.) nicht anwendbar. Denn der sachliche Anwendungsbereich der Abgabenordnung ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AO auf Steuern beschränkt, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind. Damit knüpft § 1 Abs. 1 Satz 1 AO an die Gesetzgebungsbefugnisse des Grundgesetzes an. Auf Steuern, die nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallen, findet die AO danach keine Anwendung.
Rz. 136
Für Zwecke der Grundsteuer hat der Bund zwar von seiner Gesetzgebungsbefugnis aus Art. 105 Abs. 2 Satz 1 GG Gebrauch gemacht und die Grundsteuer durch Bundesgesetz geregelt (Rz. 2). Allerdings hat der hessische Landesgesetzgeber für die Besteuerung des Grundbesitzes des Grundvermögens nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG hiervon abweichendes Landesgesetz in Kraft gesetzt (zum zeitlichen Anwendungsbereich, Rz. 9 ff.). Das abweichende Landesrecht geht dem Bundesrecht in der Anwendung vor (Rz. 3, VerfR GrStG Rz. 6 f., VerfR GrStG Rz. 36). Der Anwendungsvorrang des Landesrechts könnte dazu führen, dass es im räumlichen Geltungsbereich des Landes Hessen (Rz. 80) an einer Bundesregelung fehlt und damit die Grundsteuer (§ 3 Abs. 2 AO) nicht mehr durch "Bundesrecht geregelt" wäre. Eindeutig ist dies der Fall, wenn ein Land – wie Baden-Württemberg (LGrStG BW Rz. 1) – vollständig vom Bundesrecht abgewichen ist. Für Hessen ist allerdings zu berücksichtigen, dass hier – auch für die Besteuerung der Grundstücke des Grundvermögens – nur partiell vom Bundesrecht abgewichen wurde (Rz. 24) und deshalb Bundesrecht teilweise anwendbar bleibt. Insoweit wird vertreten, dass eine Steuer bundesgesetzlich auch dann noch "geregelt" und deshalb der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AO eröffnet ist, wenn die Steuer durch ein Zusammenspiel von Bundes- und Landesrecht geregelt ist. Zwingend ist diese Auffassung nicht. Ebenso gut ließe sich vertreten, dass durch eine partielle landesgesetzliche Abweichung der Kerngehalt des Bundesrechts überlagert wird, was zu einem Übergewicht der landesrechtlichen Regelung führt. Letztlich kommt es auf diese Frage nicht an, weil das § 2 Abs. 5 Nr. 1 HGrStG die Vorschriften der Abgabenordnung für anwendbar erklärt. Ob diese Anwendbarkeitserklärung dann konstitutiv oder deklaratorisch wirkt (VerfR GrSt Rz. 13), hat ebenfalls keine praktische Bedeutung. Unstreitig ist allerdings, dass der Landesgesetzgeber die Vorschriften der Abgabenordnung zur Anwendung bringen durfte.