1. Anlass der Reform der Grundsteuer
Rz. 1
Die politische und fachliche Diskussion um eine sachgerechte Bemessung der Grundsteuer wurde in Deutschland – ausgelöst durch den Beschluss des BVerfG zur Vermögensteuer – über fast ein viertel Jahrhundert kompromiss- und ergebnislos geführt. Erst durch das Urteil des BVerfG vom 10.4.2018 waren die politischen Akteure endgültig zum Handeln verpflichtet. Denn das BVerfG hielt bedeutende Teile der für die Grundsteuer maßgeblichen Einheitsbewertung jedenfalls seit Beginn des Jahres 2002 nicht (mehr) für mit dem Gleichheitssatz vereinbar und damit für verfassungswidrig (vgl. die Kommentierung zu VerfR GrSt, Rz. 1).
Rz. 2
Rechtsfolgenseitig führte die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG aber nicht zur Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften, sondern hatte "nur" die Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz zur Folge. Zugleich ordnete das BVerfG aber die Fortgeltung der verfassungswidrigen Vorschriften für die Vergangenheit und in einem gestuften Verhältnis begrenzt für die Zukunft an. Zunächst durften sie weiter bis zum 31.12.2019 angewendet werden, wenn der Gesetzgeber bis dahin eine Neuregelung treffe. Der Bundesgesetzgeber verabschiedete daraufhin am 26.11.2019 das Gesetz zur Reform der Grundsteuer- und Bewertungsrechts (Grundsteuer-Reformgesetz – GrStRefG). Dies löste die weitere Fortgeltungsbedingung aus, wonach die verfassungswidrigen Vorschriften der Einheitsbewertung bis längstens 31.12.2024 angewendet werden dürfen (zum zeitlichen Anwendungsbereich, Rz. 9 ff.). Gerechtfertigt hat das BVerfG diese (großzügige) Maßnahme mit dem außergewöhnlichen Umsetzungs- und Organisationsaufwand, den eine Neubewertung von bundesweit ca. 36 Mio. wirtschaftliche Einheiten zur Folge hat.
2. Länderöffnungsklausel und Abweichungsländer
Rz. 3
Die vom BVerfG erzwungene Reform der Grundsteuer hat nicht nur dazu geführt, dass die jahrzehntelang unveränderten Einheitswerte ab 2025 durch neue Bemessungsgrundlagen ersetzt werden müssen, sondern im Ergebnis auch dazu, dass jedes Bundesland sein eigenes Regelungskonzept wirklichen darf. Denn der – vom BVerfG offengelassene – Streit über die Frage, ob dem Bund für die Reform der Grundsteuer die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf der Grundlage von Art. 105 Abs. 2 (a.F.) i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG zusteht, hat auch zu einer Änderung des Grundgesetzes geführt. Für den Bund wurde die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis für die Grundsteuer in Art. 105 Abs. 2 Satz 1 GG festgeschrieben. Im Gegenzug wurde der Katalog für die Abweichungsbefugnisse zu Gunsten der Länder in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG um die Grundsteuer erweitert (sog. Länderöffnungsklausel für die Grundsteuer) und damit der Anwendungsvorrang des abweichenden Landesgesetzes vor dem Bundesgesetz konstituiert. Die Länder haben damit das Recht zur unkonditionierten, konkurrierenden und abweichungsoffenen Gesetzgebung. Der Umfang der Abweichungsbefugnis wird allein durch das materielle Verfassungsrecht begrenzt. Die Abweichungsbefugnis der Länder ist damit für die Grundsteuer umfassend. Vorbehaltlich höherrangigen Rechts steht es den Ländern also frei, "ob", "wie" und grundsätzlich auch "wann" sie von der Abweichungsbefugnis Gebrauch machen (vgl. die Kommentierung zu VerfR GrSt, Rz. 6 ff.). Zur zeitlichen Anwendungsmöglichkeit der Abweichungsbefugnis (Rz. 9 ff.). Wegen Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG steht jedes abweichende Landesgesetz jedoch unter dem Vorbehalt eines späteren, seinerseits wieder inhaltlich korrigierenden Bundesgesetzes.
Rz. 4
Nach Einfügung der Länderöffnungsklausel in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG hat Hessen frühzeitig angekündigt, von der Abweich...