[Ohne Titel]
RA StB Georg von Streit
Im entschiedenen Fall (Rs. C-90/20) hatte der EuGH über die mehrwertsteuerliche Behandlung von vertraglich vereinbarten Geldbußen bei nicht vertragsgemäßem Verhalten (Vertragsstrafen) zu entscheiden. Den Schlussanträgen des Generalanwalts v. 3.6.2021 folgend qualifizierte er die Zahlungen als Entgelt für steuerpflichtige Leistungen. Die Entscheidung steht in einer Reihe mit anderen EuGH-Urteilen, in denen der Gerichtshof Zahlungen als Entgelt für Leistungen angesehen hat, obwohl dem Leistungsempfänger kein verbrauchbarer Vorteil zugewendet wurde. Der Beitrag setzt sich mit dem Urteil und den Konsequenzen auseinander, die sich daraus – nicht zuletzt in Verbindung mit den Vorentscheidungen – ergeben.
I. Fall Apcoa: "Erhöhte Parkentgelte" sind Leistungsentgelt
EuGH folgt Generalanwalt: Jetzt ist es amtlich. Bereits der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen zum vorliegenden Fall festgestellt, dass Geldbußen, die Parkplatznutzer zu zahlen haben – z.B. wenn sie ein zu niedriges Parkentgelt entrichtet, den Parkschein nicht sichtbar am Wagen angebracht oder an nicht zulässiger Stelle geparkt haben – als Entgelt für die Parkleistung anzusehen sein sollen. Der EuGH hat sich nun im Wesentlichen den Ausführungen des GA angeschlossen. Auf die Anmerkungen zu den Schlussanträgen wird verwiesen.
Sachverhalt: Es ging um die Gesellschaft Apcoa (A), die in Dänemark Parkplätze auf Privatgrundstücken im Einvernehmen mit deren Eigentümern betreibt. Durch das Parken auf diesen Parkplätzen kommt ein Parkvertrag zwischen A und dem Autofahrer, der diesen Parkplatz benutzt, zustande. Aufgrund dieses Vertrages stellt A den Parkplatz zur Verfügung, während sich der Autofahrer verpflichtet, zum einen – zumindest in den Fällen, in denen die Nutzung des Parkplatzes kostenpflichtig ist – das "reguläre" Parkentgelt zu zahlen, zum anderen, bei etwaiger Nichteinhaltung der für das Parken geltenden Nutzungsbedingungen, eine "Kontrollgebühr" i.H.v. knapp EUR 70.
Verfahren: A hatte auch auf die vereinnahmten "Kontrollgebühren" Mehrwertsteuer entrichtet, forderte sie aber von der Steuerverwaltung zurück. Diese lehnte die Erstattung ab. Hiergegen klagte A. Um beurteilen zu können, ob die Mehrwertsteuer zu erstatten ist oder nicht, legte das dänische Gericht dem EuGH die Frage vor, ob die "Kontrollgebühr" ein Entgelt für erbrachte Dienstleistungen darstelle.
II. Entscheidungsgründe
Der EuGH bejahte die Frage aus den nachstehend dargestellten Gründen.
1. Rechtsverhältnis und tatsächlicher Gegenwert
Entstehen eines Rechtsverhältnisses: Mit der Einfahrt auf den Parkplatz akzeptierten die Fahrer der Autos die Nutzungsbedingungen. Teil dieser Nutzungsbedingungen sei, dass A – wenn der Autofahrer nicht alle Bedingungen der Parkordnung erfülle – die "Kontrollgebühren" berechnen dürfe. Hierauf werde auf Schildern, die an den Zufahrten zu den Parkplätzen stehen, hingewiesen. Mit der Akzeptierung der Nutzungsbedingungen entstehe, wie oben gesagt, ein Rechtsverhältnis zwischen A und dem Autofahrer, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht würden (Bereitstellung eines Parkplatzes, Zahlung der Parkgebühren und der Kontrollgebühren) wobei die Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für eine bestimmbare Dienstleistung bilde.
Alle Zahlungen aufgrund vereinbarter Bedingungen sind Gegenwert: Dass nicht nur die regulären Parkentgelte, sondern auch die "Kontrollgebühren" den "tatsächlichen Gegenwert" für die Zurverfügungstellung des jeweiligen Parkplatzes bilden, bejahte der EuGH damit, dass der Autofahrer einen Parkplatz in Anspruch genommen habe, und dass sich die Höhe der Kontrollgebühr daraus ergebe, dass die vom Autofahrer akzeptierten Bedingungen erfüllt seien.
Entscheidung des Autofahrers: Nach diesen Bedingungen könne der Autofahrer wählen. Entweder parke er sein Fahrzeug ordnungsgemäß und zahle nur das "reguläre" Parkentgelt oder er parke nicht ordnungsgemäß und zahle dann eben neben dem "regulären" Parkentgelt auch die "Kontrollgebühren". Der Gerichtshof spricht hier davon, dass ein Autofahrer sich dafür entscheide, "diesen Parkplatz entgegen den allgemeinen Nutzungsbedingungen für die betreffenden Parkflächen durch Überschreitung der zulässigen Parkzeit, durch einen nicht ordnungsgemäßen Nachweis seiner Parkberechtigung oder durch Parken auf einer reservierten oder einer nichtgekennzeichneten Fläche oder in störender Weise übermäßig zu nutzen." Die Fälle, dass z.B. ein Autofahrer aus Versehen den Parkschein nicht sichtbar im Auto ablegt oder aus ihm nicht zurechenbaren Gründen sein Fahrzeug später als vorgesehen abholt, berücksichtigt der Gerichtshof allerdings nicht. In diesen Fällen "entscheidet" sich der Autofahrer eben nicht dafür, den Parkplatz "nicht ordnungsgemäß" zu nutzen. Die nicht ordnungsgemäße Nutzung ist nicht gewoll...