Rn. 283
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Die immer wieder aufgeworfene Frage, ob der Gesetzgeber die Aufwendungen der ersten Berufsausbildung den Kosten der allg Lebensführung zuordnen darf oder ob er von Verfassung wegen verpflichtet ist, alle Berufsausbildungskosten zum Abzug als BA/WK zuzulassen, spielt im Rahmen von § 12 Nr 5 EStG nur dann eine Rolle, wenn nicht der Auffassung des VI. Senats des BFH gefolgt wird, dass § 12 Nr 5 EStG wegen des doppelten Vorbehalts in den Einleitungssätzen des § 12 EStG und § 10 EStG keinen eigenständigen Anwendungsbereich hat. Wird der Auffassung des VI. Senats des BFH gefolgt, geht der Gesetzesbefehl in § 12 Nr 5 EStG schon einfachrechtlich ins Leere, so dass sich die Verfassungsfrage im Rahmen von § 12 Nr 5 EStG erübrigt. Gleiches gilt für die zusätzliche Frage, ob § 12 Nr 5 EStG mit Rückwirkung für die VZ ab 2004 erlassen bzw geändert werden durfte.
Rn. 284
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Der VIII. Senat des BFH vertrat in seinem Urt v 05.11.2013 (BFH VIII R 22/12, BStBl II 2014, 165) die Auffassung, dass die gesetzlichen Neuregelungen in § 12 Nr 5 EStG und § 4 Abs 9 EStG idF BeitrRLUmsG verfassungsgemäß seien. Sie würden weder eine unzulässige verfassungsrechtliche Rückwirkung enthalten noch würden sie gegen den Gleichheitssatz iSd Art 3 Abs 1 GG verstoßen.
Dagegen legte der VI. Senat des BFH dem BVerfG in mehreren Beschlüssen v 17.07.2014 die Frage vor, ob § 9 Abs 6 EStG idF BeitrRLUmsG gegen den allg Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG in der Ausprägung des daraus abgeleiteten verfassungsrechtlichen Gebots der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und des Gebots der Folgerichtigkeit verstoße (BFH VI R 8/12, BFH/NV 2014, 1970, Az des BVerfG: 2 BvL 24/14; BFH VI R 61/11, Az des BVerfG: 2 BvL 22/14; BFH VI R 38/12, Az des BVerfG: 2 BvL 25/14; BFH VI R 2/13, Az des BVerfG: 2 BvL 26/14; BFH VI R 72/13, Az des BVerfG: 2 BvL 27/14). Der VI. Senat des BFH bezweifelte die Verfassungskonformität der vorgenommenen Typisierung, nach der Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses erfolgen, generell in keinem hinreichenden Veranlassungszusammenhang mit den zukünftigen Einkünften stehen sollten, während der Veranlassungszusammenhang für weitere Berufsausbildungen oder für Berufsausbildungen im Rahmen von Dienstverhältnissen typisierend als ausreichend angesehen wurden. Außerdem wurde darauf verwiesen, dass Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung der Existenzsicherung des StPfl in ähnlicher Weise dienen würden, wie zB Aufwendungen des StPfl für Essen und Wohnen. Als existenznotwendiger Aufwand seien Berufsausbildungskosten in angemessener und realitätsgerechter Höhe von der ESt freizustellen. Dies sei durch die Abzugsmöglichkeit nach § 10 Abs 1 Nr 7 EStG nicht erreicht worden.
Keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifel hatte der VI. Senat des BFH an der Rückwirkung des § 9 Abs 6 EStG. Bei den StPfl habe sich noch kein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen bilden können, dass auch Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung als WK einkommensteuerliche Berücksichtigung finden würden.
Rn. 285
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Das BVerfG entschied mit Beschluss v 19.11.2019 (BVerfG 2 BvL 22/14–27/14, BVerfGE 152, 274, DStR 2020, 93), dass § 9 Abs 6 EStG und die Begrenzung des SA-Abzugs in § 10 Abs 1 Nr 7 EStG verfassungsgemäß seien. Das BVerfG sah die Wertung des Gesetzgebers, dass Erstausbildungen nicht nur Berufswissen vermitteln würden, sondern die StPfl in einem umfassenden Sinne prägen und damit in einer besonderen Nähe zur Persönlichkeitsentwicklung stehen würden, als sachgerecht an. Der objektive Zusammenhang der Erstausbildungen mit den später ausgeübten Berufen sei typischerweise gering, weil Erstausbildungen häufig breit angelegt seien und eine Spezialisierung erst zu Beginn oder während der Berufstätigkeit erfolge. Der Gesetzgeber habe deshalb von gemischt veranlassten Aufwendungen ausgehen dürfen. Er sei durch den Gleichheitssatz nicht daran gehindert, die untrennbar gemischt veranlassten Aufwendungen insgesamt vom WK-Abzug auszunehmen und den SA zuzuweisen. Auch die unterschiedliche Behandlung zwischen Erstausbildungen und Zweitausbildungen halte einer gleichheitsrechtlichen Überprüfung stand. Zweitausbildungen würden nicht mehr in den Grenzbereich zwischen Persönlichkeitsentwicklung und beruflicher Bildung fallen, so dass eine Zuordnung zur beruflichen Sphäre anhand des konkreten Veranlassungszusammenhangs naheliege. Die Begrenzung des SA-Abzugs verstoße ebenfalls nicht gegen die Verfassung.
Rn. 286
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Die Entscheidung des BVerfG hat die Verfassungsfrage auch für § 12 Nr 5 EStG aF abschließend geklärt. Der BFH hat im Nachgang zu der Entscheidung des BVerfG die aufrecht erhaltenen Klagen abgewiesen (BFH VI R 17/20, BStBl II 2020, 719; BFH VI R 18/20, BFH/NV 2021, 9). Auch die rückwirkende Anwendung der Regelung in § 4 Abs 9 EStG wird als verfassungskonform angesehen (BFH ...