Rn. 70
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Die dogmatische Bedeutung des § 12 Nr 1 S 1 EStG ist seit dem Beschluss des GrS des BFH v 21.09.2009 (BFH GrS 1/06, BStBl II 2010, 672) gestiegen. Während § 12 Nr 1 S 1 EStG nach der früheren Rspr nur Bedeutung für Aufwendungen hatte, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Erwerbssphäre standen (Kernbereich der allg Lebensführung), und § 12 Nr 1 S 2 EStG eine spezielle Regelung für die Fälle vorhielt, in denen die Aufwendungen teilweise aus betrieblichen/beruflichen Gründen und teilweise aus privaten Gründen geleistet worden waren (sog gemischte Aufwendungen), ist § 12 Nr 1 S 1 EStG nach heutiger Auffassung auf beide Bereiche anwendbar. Der Aussagegehalt des § 12 Nr 1 S 1 EStG besteht darin, dass Aufwendungen nicht abzugsfähig sind, soweit sie durch die private Lebensführung veranlasst sind.
1. Der Kernbereich der Lebensführungsaufwendungen
Rn. 71
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Die in § 12 Nr 1 S 1 EStG genannten Aufwendungen für den "Haushalt" und für den "Unterhalt der Familienangehörigen" sind Bsp für den Kernbereich der Aufwendungen für die Lebensführung. Hierunter fallen Aufwendungen für Wohnung, Kleidung, Ernährung, Körperpflege, Gesundheitsvorsorge, Freizeit, Hobby, allg Bildung, kulturellen Genuss, sportliche Betätigung, privat motivierte Reisen, Ausbildung und Erziehung der Kinder sowie für sonstige Aufwendungen des täglichen Lebens.
Rn. 72
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Kennzeichnend für diese Aufwendungen ist, dass sie in keinerlei Verbindung zu der Erwerbssphäre stehen, sie also nicht getätigt werden, um Einkünfte zu erzielen. Sie können keine Erwerbsaufwendungen iSd objektiven Nettoprinzips sein, weil sie in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang zu einer Einkunftsart stehen. Sie können deshalb überhaupt nicht abgezogen werden (Tz 4 BMF BStBl I 2010, 614).
Rn. 73
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Soweit die in den Kernbereich der Aufwendungen für die Lebensführung fallenden Aufwendungen für das Familienexistenzminimum erforderlich sind, sind sie entweder pauschal durch den Grundfreibetrag (§ 32a Abs 1 S 2 Nr 1 EStG) und den Familienleistungsausgleich (§ 32 Abs 6 EStG) abgegolten oder sie können in Form von SA und ag Belastungen von der Bemessungsgrundlage für die ESt abgezogen werden (Verwirklichung des subjektiven Nettoprinzips). Eine nochmalige Berücksichtigung dieser Aufwendungen als BA/WK iRd objektiven Nettoprinzips würde zu einer systemwidrigen Doppelberücksichtigung führen. Die Bedeutung des § 12 Nr 1 S 1 EStG besteht für diese Fallgruppe darin, aus Gründen der Systemkonsistenz einen nochmaligen Abzug dieser Aufwendungen als BA/WK zu verhindern (BFH IX R 24/13, BFH/NV 2014, 1197; BFH VI R 50/10, BStBl II 2013, 282; Tz 1 BMF BStBl I 2010, 614).
Rn. 74
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Soweit die in den Kernbereich der Lebensführung fallenden Aufwendungen über das Familienexistenzminimum hinausgehen, handelt es sich um Einkommensverwendung, die für die Besteuerung grds zur Verfügung steht. Wegen des fehlenden Zusammenhangs mit der Erwerbssphäre gibt es keinen Grund, diese Aufwendungen steuermindernd als BA/WK zu berücksichtigen. Das objektive Nettoprinzip verlangt nur den Abzug derjenigen Aufwendungen, die mit der Einkünfteerzielung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, nicht dagegen den Abzug von Aufwendungen, die mit der Privatsphäre zusammenhängen. § 12 Nr 1 S 1 EStG dient deshalb dem Regelungsziel, dass die für die allg Lebensführung geleisteten Aufwendungen nicht systemwidrig die Bemessungsgrundlage der ESt mindern.
Rn. 75–76
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
vorläufig frei
2. Gemischte Aufwendungen
Rn. 77
Stand: EL 153 – ET: 10/2021
Soweit die Aufwendungen auch die Erwerbssphäre berühren, sind sie steuersystematisch nicht mehr dem Kernbereich der Lebensführungsaufwendungen zuzuordnen.
Beispiele:
- Aufwendungen für einen Sprachkurs im Ausland, der auch dem beruflichen Fortkommen dienen soll (BFH VI B 133/12, BFH/NV 2013, 552; BFH VI R 12/10, BStBl II 2011, 796; BFH VI R 61/04, BFH/NV 2007, 1132)
- Aufwendungen für eine Auslandsgruppenreise, die sowohl aus allgemeintouristischem als auch aus berufsbezogenem Interesse unternommen wird (BFH VI R 3/11, BStBl II 2012, 416; BFH VI R 42/09, BStBl II 2011, 522; BFH VI R 5/07, BStBl II 2010, 687)
- Aufwendungen eines Lehrers für einen Ski-Kurs, wenn er Leiter der Ski-Arbeitsgemeinschaft in der Schule ist (BFH VI R 61/02, BStBl II 2006, 782: Snowboardkurs; BFH VI R 61/91, BFH/NV 1993, 416; BFH VI R 175/85, BStBl II 1989, 91)
- Aufwendungen eines Restaurantkritikers für Testessen (BFH IV B 131/99, BFH/NV 2001, 162; anders: BFH III R 11/94, BFH/NV 1996, 539: Testessen eines Spitzengastronomen beim Konkurrenten).
Es handelt sich um sog gemischte Aufwendungen, die sowohl aus betrieblichen/beruflichen Gründen als auch aus privaten Gründen getätigt werden. Die gemischten Aufwendungen sind in der Praxis die "kritischen Fälle", weil sie immer wieder zu Streitigkeiten führen, ob und in welchem Umfang sie abzugsfähig sind oder nicht. Da diese Aufwendungen – wie es in § 12 Nr 1 S 2 EStG ausgeführt ist – "auch zur Förderung des Beruf...