Rn. 51
Stand: EL 177 – ET: 12/2024
Zivilrecht
Die atypisch stille Gesellschaft ist eine Erscheinungsform der stillen Gesellschaft, bei der unter Ausschöpfung des dispositiven Charakters der §§ 230ff HGB von der typischen gesetzlichen Struktur der stillen Gesellschaft durch eine Mischung aus Schuldrecht und Gesellschaftsrecht ausweitend abgewichen wird, indem vereinbart wird, dass der stille Gesellschafter so zu behandeln ist, als ob er an einem fiktiven Quasi-Gesamthandsvermögen beteiligt wäre.
Es handelt sich zivilrechtlich um eine schuldrechtliche Innengesellschaft, da der atypisch stille Gesellschafter seine Einlage in das Vermögen des Inhabers des Handelsgewerbes zu leisten hat (§ 230 Abs 1 HGB) und allein der Inhaber des Handelsgewerbes im Außenverhältnis berechtigt und verpflichtet wird (§ 230 Abs 2 HGB).
Bei der typisch stillen Gesellschaft können mehrere stille Gesellschaften unabhängig nebeneinander mit dem gleichen Inhaber des Handelsgewerbes begründet werden: s Rn 50c.
Bei atypisch stillen Beteiligungen kann die dazu erforderliche Mitunternehmerinitiative (s Rn 51a) nur gemeinschaftlich von den atypischen still Beteiligten und dem Inhaber des Handelsgewerbes ausgeübt werden. Bei Eintritt eines dritten oder weiteren atypisch still Beteiligten muss deshalb das Gesellschaftsverhältnis vertraglich jeweils neu geregelt werden; die mehrgliedrige atypische Gesellschaft hat ihre Grundlage damit nicht mehr in den §§ 230ff HGB, es handelt sich bei der mehrgliedrigen atypischen Gesellschaft vielmehr um eine (fiktive) Innen-KG ohne Gesamthandsvermögen, die nicht im HGB geregelt ist: s Schulze zur Wiesche, GmbH & Still, 7. Aufl 2019, Rz 450 ff mwN aus der Rspr.
Für das Zustandekommen eines atypisch stillen Gesellschaftsverhältnisses ist es zudem schließlich nicht erforderlich, dass der als Gesellschaftsvertrag zu qualifizierende Vertragsabschluss allen formellen Anforderungen des Zivilrechts genügt. Auch bei einer fehlerhaft zustande gekommenen Gesellschaft handelt es sich zivilrechtlich um ein Gesellschaftsverhältnis (BFH v 01.07.2010, BFH/NV 2010, 2056; BFH v 03.03.1998, BStBl II 1998, 401 mwN). Die steuerrechtliche Berücksichtigung der fehlerhaften Gesellschaft folgt aus § 41 Abs 1 S 1 AO. Auch s Rn 23c. Aber s FG BaWü v 31.10.2013, EFG 2014, 909 zu einem verunglückten Fall.
Motive
Nachfolgeregelung:
Die atypisch stille Gesellschaft ermöglicht dem Inhaber eines Einzelunternehmens, ohne Übergabe des Unternehmens die Nachfolgegeneration unentgeltlich an das Unternehmen heranzuführen oder bei mehreren Kindern, von denen nur eines das Unternehmen übernehmen soll, die anderen Nachfolger ertrags- und vermögensmäßig nebst Mitwirkungsrechten gleichzustellen (einschließlich erbschaftsteuerlicher Vorteile gem §§ 13a, 13b ErbStG: LfSt Bay v 14.01.2013, DStR 2013, 363), ohne dass dies im HR offengelegt werden muss. Bei qualifizierten Nachfolgeklauseln in Gesellschaftsverträgen ist allerdings erbschaftsteuerlich zu beachten, dass der schenkende Gesellschafter vorgeschaltet selbst eine atypisch stille Beteiligung an der PersGes oder KapGes erwirbt: Lasa, Still beteiligt, DATEV-Magazin 2/2011, 41, 43; R E 13b.1 Abs 2 ErbStR 2019).
Die unentgeltliche Zuwendung einer atypisch stillen Beteiligung ist allein mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags zivilrechtlich wirksam vollzogen: BFH v 17.07.2014, BFH/NV 2014, 1949 mwN (besser aber notarielle Beurkundung: s Kanzler, FR 2015, 80).
Kapitalbeschaffung und -anlage:
Insb Finanzinvestoren (Venture Capital- und Private Equity-Fonds) sowie vermögende Privatpersonen investieren gerne diskret anhand (atypisch) stiller Beteiligungen in inhabergeführte mittelständische (PersGes-)Strukturen, insb zur Finanzierung des Wachstums, der Ausgliederung von Unternehmensteilen oder der Regelung der Nachfolge. Eine atypisch stille Beteiligung bietet, anders als Darlehen, die Möglichkeit, an der Gewinnentwicklung des Unternehmens und an dessen Substanzwert teilzuhaben. Nach Erreichen des durch die Finanzierung beabsichtigten Investitionsziels werden die Anteile sodann veräußert, wobei insb die Rechtsfolgen bei der Auflösung (nachfolgend s Rn 51a) im Vorhinein bedacht werden müssen (Rennar, NWB 2018, 3333). Überdies haftet der mittelbar Beteiligte im für ihn günstigsten Fall nur in der Höhe seiner Einlage. Allerdings kann es Jahre ohne Gewinnausschüttung geben, während ein Darlehen normalerweise regelmäßig bedient wird. Für den Beteiligungsgewährenden von besonderem Vorteil: In einer Verlustphase geht der Stille bzw Unterbeteiligte in jedem Fall leer aus. Ist er am Verlust beteiligt, wird das Jahresergebnis sogar entlastet.
Bei Beteiligung an defizitären Gewerbebetrieben ist auf die beschränkte Verlustnutzungsmöglichkeit iRv § 15a EStG zu achten (s § 15a Rn 44 (Bitz)).
Zivilrechtlich wird einer atypischen stillen Einlage in gleicher Weise wie der Kommanditeinlage der Charakter von EK (auch s IDW HFA 1/1994) und nicht von FK zuerkannt, was auch ein wichtiges Gründungsmotiv (Kreditwürdigkeit) sein kann (neben der ...