Rn. 303a
Stand: EL 174 – ET: 08/2024
Zwischen Steuergläubiger und Besitzunternehmen bzw Betriebsunternehmen bestehen – ohne Rücksicht auf die personelle und sachliche Verflechtung beider Unternehmen – zwei voneinander unabhängige, je steuerlich selbstständig zu beurteilende Steuerschuldverhältnisse (BFH v 18.12.1997, BFH/NV 1998, 743) mit der Folge, dass Besitz- und Betriebsunternehmen hinsichtlich der Verwirklichung abgaberechtlicher Tatbestände (§ 38 AO) zu trennen sind. Dies sollte nach dem vorstehenden Beschluss auch gelten für das Eingreifen steuervergünstigender und steuerbefreiender Gesetzesbestimmungen (hierzu auch s BMF v 11.12.1985, BStBl I 1985, 683 und BMF v 27.03.2000, BStBl I 2000, 451).
GewSt-Befreiungsmerkmale
Konsequent hatte es der BFH bis 2006 abgelehnt, das Merkmal einer gewerbesteuerlichen Steuerbefreiung des Betriebsunternehmens nach § 3 Nr 20 GewStG auf das Besitzunternehmen zu übertragen (nur interessant, wenn dieses nicht schon nach § 15 Abs 3 Nr 1 EStG gewerbliche Einkünfte erzielt, BFH v 20.08.2015, IV R 26/13, DStR 2015, 2536): so BFH v 30.09.1991, BFH/NV 1992, 333; BFH v 18.12.1997, BFH/NV 1998, 743; BFH v 19.03.2002, BStBl II 2002, 662. Zur Kritik an der alten Rspr sei auch verwiesen auf die Anmerkungen des Verfassers in GmbHR 2004, 1033 und GmbHR 2002, 597.
Wie Drüen, GmbHR 2005, 69 zu Recht ausgeführt hat, hat der BFH das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung durch richterliche Rechtsfortbildung selbst geschaffen und dadurch erst die Lücke verursacht, dass die GewSt-Befreiung der Betriebs-GmbH möglicherweise nicht auch die Besitzgesellschaft umfasst.
Diesen Bedenken Rechnung tragend hat der BFH bei GewSt-Befreiungsmerkmalen sowie beim InvZul-Recht dem Prinzip der "wirtschaftlichen Einheit" der verflochtenen selbstständigen Unternehmen, von dem das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung geprägt ist, den Vorrang vor einer formal getrennten Betrachtungsweise eingeräumt und in Abweichung von der früheren Rspr in zutreffender zweckgerechter Interpretation bei einer Betriebsaufspaltung das Merkmal einer GewSt-Befreiung des Betriebsunternehmens – im Urteilsfall nach § 3 Nr 20 Buchst c GewStG – auf das Besitzunternehmen übertragen: BFH X v 29.03.2006, BStBl II 2006, 661. Im Urteilsfall 2006 hatte ein Arzt ein Pflegeheim erworben und dieses an eine ihm gehörende GmbH zum Betrieb eines Pflegeheims verpachtet (Betriebsaufspaltung). Der eigentliche Pflegeheimbetrieb der Betriebs-GmbH war nach § 3 Nr 20 Buchst c GewStG gewerbesteuerbefreit und der StPfl meinte, dass sich die Befreiung folgerichtig auch auf die Besitzgesellschaft erstrecken müsse. Dieser Meinung hatte sich der X. Senat im Vorlagebeschluss BFH v 12.05.2004, BStBl II 2004, 607 angeschlossen, ihm folgten der I. und IV. Senat und letztlich auch der VIII. Senat, weshalb der GrS nicht mehr im Wege der Divergenzanrufung bemüht werden musste.
Der X. Senat stimmte damit der in der Literatur vertretenen Auffassung zu, dass eine "strikte Trennung" vom Besitz- und Betriebsunternehmen iSv BFH BStBl II 1992, 246 dem Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung letztlich insgesamt den Boden entzöge und Sinn und Zweck des genannten gewerbesteuerlichen Befreiungstatbestandes, nämlich die bestehenden Strukturen bei der Pflege kranker und bedürftiger Personen zu verbessern und so zur Kostenentlastung bei den Trägern von Krankenhäusern, Altenheimen uä Einrichtungen beizutragen, es gebieten, den Befreiungstatbestand des § 3 Nr 20 Buchst c GewStG auch auf die im Besitzunternehmen erzielten Erträge auszudehnen. Wie die Entstehungsgeschichte der Betriebsaufspaltung belege, ging es bei diesem Rechtsinstitut vor allem darum, zu verhindern, dass ein aufgespaltenes Unternehmen gewerbesteuerlich besser steht als ein "Einheitsunternehmen". Dieser Zweck ist hinfällig, wenn das gedachte Einheitsunternehmen, hier gem § 3 Nr 20 GewStG, insgesamt von der GewSt befreit wäre: wo nichts zu umgehen ist, muss auch nichts verhindert werden. Ansonsten wäre die Betriebsaufspaltung gegenüber dem Einheitsunternehmen, ohne sachlich gebotenen Grund im iSd Art 3 Abs 1 GG, benachteiligt.
Zudem ersetzt das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung den bei gewerblichen PersGes zu beachtenden Tatbestand des Sonder-BV, das v GewSt-Befreiungstatbestand des § 3 Nr 20 GewStG jedoch gerade mit umfasst würde.
Im Anschluss an den X. Senat entschied der IV. Senat am 19.10.2006 (BFH BFH/NV 2007, 149; nachgehend Beschluss des BVerfG v 14.02.2008, 1 BvR 19/07, BFH/NV Beilage 2008, 228) gleichlautend zur Übertragbarkeit des Merkmals nach § 3 Nr 6 GewStG (gemeinnütziges Altenheim). Dagegen war das FinMin NRW v 06.10.2010, G1410–7-V B 4, DB 2010, 2462 (ebenso OFD Chemnitz v 20.10.2010, G1412–18/2-St21), das dem BFH erneut Gelegenheit zur Überprüfung der Merkmalsübertragung bei gemeinnützigen Betriebs-KapGes geben wollte, aber die Merkmalsübertragung nach § 3 Nr 20 GewStG anerkannte. Gegen die FinVerw FG Thüringen v 15.06.2016, EFG 2017, 412, nrkr, bestätigt durch BFH v 19.02.2019, X R 42/16, BFH/NV 2019, 586...