Dr. jur. Lukas Karrenbrock
1. Veräußerungsbegriff
a) Zivilrechtlicher Begriff
Rn. 121
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Der Veräußerungsbegriff des § 17 EStG unterscheidet sich vom zivilrechtlichen Veräußerungsbegriff, da der steuerrechtliche Begriff auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums abstellt (§ 39 Abs 2 Nr 1 AO). Andererseits ist die Vorschrift des § 17 EStG nur anwendbar, wenn die Übertragung der Anteile gegen Entgelt erfolgt. Eine unentgeltliche Übertragung der Anteile stellt keine Veräußerung iSd § 17 EStG dar (s Rn 116f). Entgeltlich ist der Erwerb, wenn für die Übertragung der Beteiligung eine ihrem wirtschaftlichen Wert entsprechende Gegenleistung vereinbart wurde. Das bedeutet, dass ein entgeltlicher Vorgang vorliegt, wenn die Gegenleistung für die Übertragung der Beteiligung nur EUR 1 beträgt, soweit der wirtschaftliche Wert der Beteiligung nicht höher ist.
b) Übergang des wirtschaftlichen Eigentums
Rn. 122
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Im Einzelnen erfolgt eine Beurteilung des wirtschaftlichen Eigentums nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall; dabei ist nicht lediglich das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend.
Nach dem Kriterienkatalog des BFH (st Rspr, vgl BFH vom 20.09.2022, IX R 18/21, BStBl II 2023, 89 mwN) geht das wirtschaftliche Eigentum an einem Anteil an einer KapGes auf den Erwerber über, wenn
- zivilrechtlich bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Rechtsposition erworben wurde, die dem Erwerber gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und
- die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte (im Wesentlichen Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie
- Risiken und Chancen von künftigen Wertveränderungen auf den Erwerber übergangen sind.
2. Kauf- und Tauschvertrag
Rn. 123
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Veräußerungsgeschäfte sind die Anteilsübertragung auf Grund eines Kaufvertrags iSd § 433 BGB und der Tauschvertrag iSd § 515 BGB (BFH vom 07.07.1992, VIII R 54/88, BStBl II 1993, 331). Nach der bis VZ 1998 geltenden alten Rechtslage kam es beim Tausch von Anteilen nicht zur Gewinnrealisierung, wenn die Nämlichkeit der hingegebenen und der erhaltenen Anteile wegen der Wert-, Art- und Funktionsgleichheit der Anteile anzunehmen war (BMF vom 15.02.1995, BStBl I 1995, 149; sog Tauschgutachten vgl BFH vom 16.12.1958, I D 1/57 S, BStBl III 1959, 30).
Mit Einführung des § 6 Abs 6 EStG idF StEntlG 1999/2000/2002 ist dieser Gestaltungsmöglichkeit ab VZ 1999 der Boden entzogen worden, da nunmehr auch der Tauschvertrag zu einer ertragsteuerlichen Gewinnrealisierung führt.
3. Einbringung in eine KapGes
a) Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten (offene Einlage)
Rn. 124
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Die Einlage einer maßgeblichen Kapitalbeteiligung in eine KapGes gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten (sog offene Einlage) stellt einen Tauschvorgang dar. Einlagen des Gesellschafters einer KapGes sind die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Leistungen des Gesellschafters an die Gesellschaft.
Als Veräußerungspreis ist der gemeine Wert der erhaltenen Gesellschaftsrechte anzusetzen (BFH vom 07.07.1992, VIII R 54/88, BStBl II 1993, 331; BFH vom 16.02.1996, I R 183/94, BStBl II 1996, 342). Die Vorschriften des UmwStG gehen dem § 17 EStG vor, wenn die Voraussetzungen des § 20 Abs 1 S 2 UmwStG bzw des § 23 Abs 4 UmwStG erfüllt sind (vgl BMF vom 15.02.1995, BStBl I 1995, 149, wonach in diesem Fall die Grundsätze des "Tauschgutachtens" nicht anwendbar sein sollen).
Sofern der Gesellschafter Kapitalanteile an einer KapGes an eine Gesellschaft in Anrechnung auf eine Barzahlungsverpflichtung übereignet (sog Sachübernahme), liegt keine Einlage, sondern eine Veräußerung vor.
b) Einbringung ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten (verdeckte Einlage)
Rn. 125
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Durch das StÄndG 1992 wurde die Besteuerung der verdeckten Einlage mit Wirkung ab VZ 1992 eingeführt. Eine verdeckte Einlage liegt vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahe stehende Person der KapGes einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet und diese Zuwendung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist (Pung in D/P/M, § 17 EStG Rz 97).
Eine Einlage gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten ist demzufolge keine verdeckte Einlage, da der Gesellschafter als Gegenleistung Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft erhält.
ba) Ebene des Gesellschafters
Rn. 126
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Die Einbringung einer maßgeblichen Beteiligung in eine KapGes ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten (sog verdeckte Einlage) wird gemäß § 17 Abs 1 S 2 EStG einer entgeltlichen Veräußerung gleichgestellt. Der Veräußerungspreis ist der gemeine Wert (§ 17 Abs 2 S 2 EStG), der nach § 11 Abs 2 BewG zu bestimmen ist. Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist der Abschluss des Vertrages, also das Verpflichtungsgeschäft (BFH vom 13.12.2022, IX R 5/22, DStR 2023, 507).
Erfolgt eine Veräußerung von Anteilen an einer KapGes an eine andere KapGes unter dem Verkehrswert und der Veräußerer ist an der Erwerbsgesellschaft beteiligt, so ist die Anteilsveräußerung in einen entgeltlichen und in einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen (sog gemischte verdeckte Einlage). Der unentgeltliche Teil (Differenz zwischen Verkehrswert und dem niedrigeren Kaufpreis)...