Markus Fahsel, Maik Bergan
Rn. 105
Stand: EL 177 – ET: 12/2024
Der im Kj der Übertragung der Vermögensbeteiligung nicht besteuerte Arbeitslohn wird nicht endgültig "steuerfrei gestellt" (ausdrücklich BT-Drs 19/27631, 111). Die Besteuerung wird vielmehr nur aufgeschoben. § 19a Abs 4 S 1 EStG regelt – uE abschließend – in welchen Fällen und zu welchem Zeitpunkt es zu einer Nachholung der Besteuerung kommt.
Soweit nicht zeitgleich einer der in § 19a Abs 4 S 1 EStG genannten Tatbestände eintritt, führt folglich die Beendigung der unbeschränkten StPfl oder eine Verlagerung der Ansässigkeit im Sinne eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ins Ausland nicht zu einer Besteuerung nach § 19a Abs 4 EStG. Gleiches gilt für eine fiktive Veräußerung iRd Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG oder nach § 17 Abs 5 EStG, zutreffend BMF v 01.06.2024, BStBl I 2024, 946 Rz 44.
Die in § 19a Abs 4 S 1 Nr 1–3 EStG genannten Fälle stehen in einem Alternativverhältnis ("oder"), dh, ist eine Nummer erfüllt, löst dies die Nachholung der Besteuerung aus.
A. Sachverhalte der Nachversteuerung (§ 19a Abs 4 S 1 EStG)
1. Übertragung der Vermögensbeteiligung (§ 19a Abs 4 S 1 Nr 1 EStG)
Rn. 106
Stand: EL 177 – ET: 12/2024
Nach § 19a Abs 4 S 1 Nr 1 EStG führt zunächst die (ganz oder teilweise entgeltliche oder unentgeltliche) Übertragung der Vermögensbeteiligung zur nachträglichen Besteuerung, wobei der Gesetzgeber hierbei beispielhaft ausdrücklich auch die Fälle der §§ 17 Abs 4 und 20 Abs 2 S 2 EStG (s § 17 Rn 330ff (Karrenbrock) und s § 20 Rn 1393ff (Möllenbeck)) sowie der Einlagen in ein BV (s § 4 Abs 1 S 8 EStG; s § 4 Rn 275ff (Briesemeister)) benennt.
Rn. 107
Stand: EL 177 – ET: 12/2024
§ 19a Abs 1 S 1 EStG spricht davon, dass die Vermögensbeteiligung "übertragen" werden muss. Damit weicht sie von der Formulierung in § 3 Nr 39 EStG ab, die von der "Überlassung" von Vermögensbeteiligungen spricht. Trotz der unterschiedlichen Wortwahl ist jedoch uE eine inhaltliche Differenzierung nicht zu bejahen. Gemeint ist in beiden Fällen der Zeitpunkt, in dem das – zumindest wirtschaftliche (§ 39 Abs 2 Nr 1 AO) – Eigentum an der Beteiligung auf einen Dritten übergeht (s BFH v 23.06.2005, VI R 10/03, BStBl II 2005, 770 Rz 24 sowie allg BFH v 01.12.2020, VIII R 40/18, Rz 30; BMF v 01.06.2024, BStBl I 2024, 946 Rz 25 ff zu § 3 Nr 39 EStG). Es kann hier nichts anderes gelten als bei der Übertragung auf den ArbN nach § 19a Abs 1 S 1 EStG, s Rn 18 und 64.
Die Übertragung kann unentgeltlich (zB Schenkung) oder entgeltlich (Veräußerung, BFH v 17.11.2020, VIII R 20/18, BStBl II 2021, 378 Rz 19 mwN) erfolgen. Der Zweck des § 19a EStG, die Besteuerung von "dry-income" zu vermeiden (s Rn 1), wird im Fall einer unentgeltlichen Übertragung und einer Einlage nicht erreicht. Da eine unentgeltliche Übertragung und eine Einlage idR freiwillig erfolgt, bedarf es jedoch keiner (weiteren) Privilegierung, so auch Westermann/Thor, FR 2021, 198, 203. Darüber hinaus ist die Steuerpause von der Zustimmung des ArbN abhängig, § 19a Abs 2 EStG (volenti non fit iniuria). Letztlich kann der ArbN in den Genuss weiterer steuerrechtlicher Privilegierungen gelangen, die im Fall der Sofortversteuerung nicht gewährt worden wären, s § 19a Abs 4 S 2 und S 4 EStG, s Rn 122 und s Rn 127 ff; Bleschick in BeckOK EStG, § 19a EStG Rz 226 (03/2024).
Rn. 108
Stand: EL 177 – ET: 12/2024
Trotz der unglücklichen Formulierung in § 19a Abs 4 S 1 Nr 1 EStG, die von ganz oder teilweiser Übertragung spricht, ist uE eine individuelle, an die jeweilige Vermögensbeteiligung orientierte Auslegung geboten, da der Vorteil aus der jeweiligen Beteiligung Besteuerungsobjekt ist, s hierzu ausführlich Fahsel/Bergan, FR 2021, 729, 734 f mit Beispielen; so auch BMF v 01.06.2024, BStBl I 2024, 946 Rz 45 mit Beispiel; Bleschick in BeckOK EStG, § 19a EStG Rz 225 (03/2024); Ostermann/Kluck, Ubg 2023, 206, 208; aA mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen Westermann/Thor, FR 2021, 198, 202; Zapf, FR 2022, 437, 445.
Erhält der ArbN folglich mehrere Vermögensbeteiligungen von seinem ArbG und überträgt nur eine Vermögensbeteiligung, unterfällt nur diese § 19a Abs 4 S 1 Nr 1 EStG. Hinsichtlich der Ermittlung des nachzuversteuernden Betrages in diesen Fällen hat das BMF eine Vereinfachungsregelung getroffen, wonach davon ausgegangen wird, dass die zuerst übertragenen Vermögensbeteiligungen zuerst veräußert werden (Fifo-Prinzip, BMF v 01.06.2024, BStBl I 2024, 946 Rz 45). Dieser pauschale Ansatz mag die Bestimmung der Besteuerungsgrundlagen in unklaren Einzelfällen praktikabler machen, steht aber naturgemäß in einer gewissen Spannung zur oben genannten individuellen Betrachtungsweise; zu Recht lässt das BMF dann auch den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs zu.
Gerade im Falle der Veräußerung von Geschäftsanteilen an einer – bei Startups häufig verwendeten – GmbH ist zu berücksichtigen, dass, neben den Voraussetzungen des Bestimmtheitsgrundsatzes (s BGH v 19.04.2010, II ZR 150/09, NZG 2010, 908; Servatius in Noack/Servatius/Haas, GmbH-Gesetz, § 15 Rz 22 (23. Aufl 2022)), die Gesellschafterliste (§ 40 Abs 1 GmbHG) zur Verfügung steht; so sind Geschäftsführer bzw Notar (haftungsbedroht) ...