Prof. Dr. iur. Claus Möllenbeck
Rn. 1210
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
§ 20 Abs 2 S 1 EStG enthält eine Aufzählung von Veräußerungsfällen von Kapitalanlagen. Dabei wird die Systematik des § 20 Abs 1 EStG angewandt. Nach Einschätzung des Gesetzgebers bedurfte es einer umfassenden Aufzählung der einzelnen Geschäftsvorfälle, um zu gewährleisten, dass die KapErtr auszahlenden Stellen – vor allem Kreditinstitute – den Steuerabzug vom KapErtr nach § 43 EStG vornehmen können (BT-Drucks 16/4841, 55).
1. Zu den Einkünften aus KapVerm gehören auch … der Gewinn aus der Veräußerung von … (§ 20 Abs 2 S 1 EStG)
Rn. 1211
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
Nach § 20 Abs 2 S 1 EStG gehört zu den Einkünften aus KapVerm auch stets der Gewinn aus der Veräußerung der Kapitalanlage. Lediglich in § 20 Abs 2 Nr 3 Buchst a EStG wird bei einem Termingeschäft neben der Veräußerung (§ 20 Abs 2 Nr 3 Buchst b EStG) an den Differenzausgleich bzw an den erlangten Geldbetrag oder Vorteil sowie in § 20 Abs 2 Nr 8 EStG bei einer die Einnahmen iSd § 20 Abs 1 Nr 9 EStG vermittelnden Rechtsposition an die Übertragung oder Aufgabe angeknüpft.
a) Zu den Einkünften aus KapVerm gehören auch … (§ 20 Abs 2 S 1 EStG)
Rn. 1212
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
Der Einleitungssatz, wonach zu den Einkünften aus KapVerm "auch" Veräußerungsgewinne von Kapitalanlagen zählen, ist nicht als eine Subsidiarität zu verstehen. Die Unterscheidung zwischen laufenden Erträgen nach § 20 Abs 1 EStG und Veräußerungsgewinnen nach § 20 Abs 2 EStG hat keine materiell-rechtlichen Auswirkungen. In beiden Fällen unterliegen die Kapitaleinkünfte dem besonderen Steuersatz des § 32d Abs 1 EStG oder der tariflichen ESt – in den Fällen des § 32d Abs 2 Nr 1 EStG. Unterschiede können sich allenfalls iRd Steuererhebung (Steuerabzugsverpflichteter, Abstandsnahme vom KapSt-Abzug) oder der beschränkten StPfl (Fall des § 49 Abs 1 Nr 5 Buchst c o d EStG) ergeben (s Buge in H/H/R, § 20 EStG, Rz 421 (Oktober 2019)).
Rn. 1213–1214
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
vorläufig frei
b) Veräußerung
Rn. 1215
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§ 20 Abs 2 S 1 EStG knüpft im Wesentlichen an eine Veräußerung der Kapitalanlage an. Darüber hinaus wird die Veräußerung durch die in § 20 Abs 2 S 2–5 EStG genannten Ersatztatbestände erweitert, s Rn 1393ff. Hierdurch soll eine umfassende steuerliche Erfassung von Wertsteigerungen in Zusammenhang von Übertragungen von Kapitalanlagen erreicht und so steuervermeidende Gestaltungen vermieden werden (s BT-Drucks 16/4841, 54 und 56).
Rn. 1216
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Unter Veräußerung versteht der BFH die entgeltliche Übertragung des – zumindest wirtschaftlichen – Eigentums auf einen Dritten (BFH v 03.12.2019, VIII R 34/16, BStBl II 2020, 836 mwN). Die Veräußerung ist als spiegelbildlicher Vorgang zur Anschaffung die entgeltliche Übertragung eines WG auf einen Dritten.
Die Erfüllung des Tatbestandes der Veräußerung ist weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig (dazu BFH v 29.09.2020 VIII R 9/17, BStBl II 2021, 385 zu Veräußerungen von Aktien).
Veräußerung ist – wie die Anschaffung – bereits das obligatorische Geschäft, wobei es nur relevant ist, wenn es dinglich vollzogen wird. Es genügt, dass tatsächlich eine Situation vorliegt, die wirtschaftlich einer Veräußerung gleichzustellen ist und das Ergebnis des obligatorischen Veräußerungsgeschäftes bei wirtschaftlicher Betrachtung vorwegnimmt.
Rn. 1217
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Grds setzt ein Veräußerungsgeschäft keinen rechtsgeschäftlichen Handlungswillen voraus. Die Beweggründe für eine Anschaffung oder Veräußerung sind nicht maßgeblich. So kann die Veräußerung auch unter Zwang (zB Versteigerung, Pfandveräußerung, Notlage) erfolgen.
Bei wirtschaftlicher Betrachtung kann in folgenden Fällen eine Veräußerung vorliegen:
ba) Gesellschaftsrechtliche Vorgänge
Rn. 1218
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Gesellschaftsrechtliche Vorgänge können tauschähnliche Vorgänge sein, wenn zB in eine PersGes WG oder BV gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten eingebracht.
Dagegen stellt die Einlage von WG oder BV ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten (zB in Rücklagen) keine Veräußerung dar (dazu BFH v 24.01.2008, IV R 37/06, BStBl II 2011, 617).
bb) Tausch
Rn. 1219
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Der Tausch von Wertpapieren gegen andere Wertpapiere stellt grundsätzlich eine stpfl Veräußerung dar, soweit nicht die weiteren Voraussetzungen des § 20 Abs 4a S 1ff EStG oder des UmwStG vorliegen.
In folgenden Fällen ist hingegen kein stpfl Tausch anzunehmen (s BMF v 19.05.2022, BStBl I 2022, 742 [Einzelfragen zur AbgSt] Tz 67ff):
- Umwandlung von Vorzugs- in Stammaktien oder von Inhaber- in Namensaktien (und umgekehrt),
- rein wertpapiertechnische bedingte Umtauschvorgänge, zB Umtausch gegen ISIN- (International Securities Indentification Number) -Änderung oder Urkundentausch,
- Umbuchung von ADR und GDR (American und Global oder International Depositary Receipts – ausgestellte handelbare Aktienzertifikate bei hinterlegten Aktien) in die dahinter sehenden Aktien.
bc) Übertragung wertloser Anteile ohne Gegenleistung
Rn. 1220
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Eine entgeltliche Anteilsübertragung gemäß § 20 Abs 2 S 1 Nr 1 EStG liegt auch dann vor, wenn wertlose Anteile ohne Gegenleistung zwischen fremden Dritten übertragen werden (BFH v 29.09.2020, VIII R 9/17; BFH v 12.06....