Prof. Dr. iur. Claus Möllenbeck
1. Grundsätzliches
Rn. 1464
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
Kapitalforderungen iSd § 20 Abs 1 Nr 7 EStG können so ausgestaltet sein, dass dem Inhaber das Recht zugesprochen wird, bei Fälligkeit anstelle einer Zahlung eines Geldbetrages die Lieferung bzw die Andienung eines Wertpapieres zu verlangen. Hierdurch wird nach § 20 Abs 2 S 2 EStG (Einlösung der Kapitalforderung) eine Veräußerung fingiert, was an sich einen Veräußerungsgewinn nach § 20 Abs 2 S 1 Nr 7 EStG auslöst.
Bereits vor Einführung der AbgSt wurde die Wandlung von Wandelanleihen (§ 221 AktG) nicht als Veräußerung angesehen und löste somit keinen Veräußerungsgewinn aus. Dieses bezweckt auch § 20 Abs 4a S 3 EStG. Durch die Regelung wird der Veräußerungspreis bei der Einlösung mit den AK der Kapitalforderung angesetzt, so dass es nicht zu einem Gewinn kommt. Die Ausübung von Wandlungs- oder Andienungsrechte wirken sich steuerlich nicht aus. Allein die spätere Veräußerung der Aktien wird für die Festsetzung der ESt und für den KapSt-Einbehalt durch die Kreditinstitute relevant (s BT-Drucks 17/2249, 53).
2. Tatbestandsvoraussetzungen
Rn. 1465
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
§ 20 Abs 4a S 3 EStG verlangt, dass der StPfl eine sonstige Kapitalforderung besitzt und das Recht innehat, bei Fälligkeit anstelle der Zahlung eines Geldbetrages vom Emittenten die Lieferung von Wertpapieren (ab VZ 2021 nur noch die Lieferung von Wertpapieren iSd § 20 Abs 1 Nr 1 EStG) zu verlangen (Innhaberwahlrecht), oder der Emittent hat das Recht, bei Fälligkeit dem Inhaber der Forderung anstelle der Zahlung eines Geldbetrages Wertpapiere (ab VZ 2021 nur noch Wertpapiere iSd § 20 Abs 1 Nr 1 EStG) anzudienen (Emittentenwahlrecht) und der Inhaber der Forderung oder der Emittent von diesem Recht Gebrauch (Ausübung von Wandlungs- oder Andienungsrechten) macht.
Schuldverschreibungen, die die Lieferung physischer WG zum Gegenstand haben, sind von § 20 Abs 4a S 3 EStG nicht erfasst (s FG Mchn v 29.09.2020, 5 K 2870/19, EFG 2021, 111, Rev VIII R 28/20).
a) Ausübung von Inhaberwahlrechen
Rn. 1466
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
Zu den Kapitalforderungen iSd § 20 Abs 4a S 3 EStG mit Inhaberwahlrecht gehören insbesondere sogenannte Wandelanleihen oder Umtauschanleihen, nicht jedoch Optionsanleihen. Bei einer Wandelanleihe (Wandelschuldverschreibung iSd § 221 AktG) besitzt der Inhaber das Recht, innerhalb einer bestimmten Frist die Anleihe in eine bestimmte Anzahl von Aktien des Emittenten umzutauschen. Mit dem Umtausch erlischt der Anspruch auf Rückzahlung des Nominalbetrags der Anleihe. Bei einer Umtauschanleihe besitzt der Inhaber das Recht, bei Fälligkeit an Stelle der vorher festgelegten Anzahl von Aktien zu verlangen. Mit der Ausübung der Option erlischt der Anspruch auf Rückzahlung des Nominalbetrags der Anleihe (s BMF v 19.05.2022, BStBl I 2022, 742 [Einzelfragen zur AbgSt] Tz 103).
b) Ausübung von Emittentenwahlrechten
Rn. 1467
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
Zu den Kapitalforderung iSd § 20 Abs 4a S 3 EStG mit Emittentenwahlrecht gehören insbesondere Hochzins- oder Aktienanleihen. Hierbei besitzt der Emittent (zB ein Kreditinstitut) das Recht, bei Fälligkeit dem Inhaber an Stelle der Rückzahlung des Nominalbetrags der Anleihe eine vorher festgelegte Anzahl von Aktien anzudienen. Mit der Ausübung der Option erlischt die Verpflichtung zur Rückzahlung des Nominalbetrags der Anlage (s BMF v 19.05.2022, BStBl I 2022, 742 [Einzelfragen zur AbgSt] Tz 103).
Die Regelung findet auch Anwendung auf Vollrisikozertifikate mit Andienungsrecht (zu Einzelheiten und zeitlichen Anwendung s BMF v 19.05.2022, BStBl I 2022, 742 [Einzelfragen zur AbgSt] Tz 105).
Rn. 1468
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
vorläufig frei
3. Rechtsfolgen
Rn. 1469
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
Wird bei Fälligkeit einer sonstigen Kapitalforderung iSd § 20 Abs 1 Nr 7 EStG anstelle der Rückzahlung des Nominalbetrags eine vorher festgelegte Anzahl von Wertpapieren (ab VZ 2021 nur noch Wertpapiere iSv § 20 Abs 1 Nr 1 EStG) geliefert, fingiert § 20 Abs 4a S 3 EStG das Entgelt für den Erwerb der Kapitalforderung als Veräußerungspreis der Kapitalforderung. Zugleich ist das Entgelt für den Forderungserwerb als AK der erhaltenen Wertpapiere (Aktien) anzusetzen.
Beispiel: Ausübung eines Inhaberwahlrechts
Anleger K erwirbt von seiner Bank eine Wandelanleihe zum Nominalwert von EUR 10 000. Fristgerecht übt K sein Recht zugunsten der Lieferung von Aktien der Z-AG aus zum Kurswert von EUR 12.000. Kurz darauf veräußert K seine Aktien der Z-AG für EUR 14 000.
Die Ausübung des Inhaberwahlrechts zugunsten der Lieferung von Aktien ist nach § 20 Abs 4a S 3 EStG steuerlich unbeachtlich. Die Bank hat keine KapSt einzubehalten. Die AK der Aktien wird fingiert mit den AK der Wandelanleihe von EUR 10 000. Bei Veräußerung der Aktien ist der Veräußerungsgewinn von EUR 4 000 (EUR 14 000 ./. EUR 10 000) zu versteuern.
Gleiches gilt, wenn der Emittent bei Eintritt bestimmter Bedingungen anstatt des Nominalbetrages auszuzahlen, eine bestimmte Anzahl bestimmter Aktien zu liefern.
Beispiel: Ausübung eines Emittentenwahlrechts
Anleger K erwirbt von seiner Bank Aktienanleihen zum Nominalwert von EUR 10 000. Fristgerecht übt die Ba...