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Stand: EL 171 – ET: 02/2024
§ 24 Nr 1 Buchst a EStG setzt voraus, dass Einnahmen entgangen sind oder entgehen. Aus diesem Tatbestandsmerkmal wird im Schrifttum teilweise geschlossen, dass der StPfl das schadensstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben darf (s Füssenich in K/S/M, § 24 EStG Rz B 40 (März 2022)).
Diese Auslegung ist zu einschränkend, weil dem Begriff der "entgangenen oder entgehenden" Einnahmen kein subjektives Element beizumessen ist (s auch Horn in H/H/R, § 24 EStG Rz 35 (April 2019)).
Der BFH geht aber in bisheriger ständiger Rspr ebenfalls davon aus, dass der StPfl nicht nach freiem Belieben an dem Vorgang mitwirken darf, der zum Einnahmeausfall führt. Falls dieser nicht von dritter Seite veranlasst wird, sondern vom StPfl selbst oder mit dessen Zustimmung zustande gekommen ist, muss der StPfl unter einem erheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden haben (s zB BFH BStBl II 2004, 106; 2010, 1030; BFH/NV 2005, 1044). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs 1, 2 Nr 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der StPfl in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann (BFH vom 13.08.2003, XI R 18/02, BStBl II 2004, 106).
Ein Senat des BFH äußert allerdings Zweifel daran, ob im Rahmen des § 24 Nr 1 Buchst a EStG am Erfordernis der Zwangslage festzuhalten ist. Er musste diese Frage allerdings nicht entscheiden, weil seiner Auffassung nach jedenfalls für Abfindungszahlungen zum Ausschluss des Versorgungsausgleichs eine solche Voraussetzung nicht aufgestellt werden kann. Dies gebiete der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, weil das Scheidungsrecht grundsätzlich verschuldensunabhängig ausgestaltet sei (BFH vom 23.11.2016, X R 48/14, BStBl II 2017, 383). In einem obiter dictum weist der BFH aber zutreffend darauf hin, dass aus dem Wortlaut und dem Zweck des § 24 Nr 1 Buchst a EStG die Notwendigkeit eines zusätzlichen ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals nicht abzuleiten ist. Das Erfordernis der Zwangslage dürfte in der Tat eher bei der Prüfung einer "Außerordentlichkeit" iSv § 34 EStG zu verorten sein (s Geissler, Stbg 2017, 417; Mellinghoff in Kirchhof/Seer, § 24 EStG Rz 8 (22. Aufl); Zeising, BB 2021, 1239).
Es bleibt abzuwarten, ob damit eine Trendwende in der BFH-Rspr eingeleitet worden ist. Ein anderer Senat des BFH hat diese Frage ebenfalls offengelassen (BFH vom 13.03.2018, IX R 12/17, BFH/NV 2018, 715; BFH vom 13.03.2018, IX R 16/17, DB 2018, 1902).
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Die Frage, ob eine rechtliche, wirtschaftliche oder tatsächliche Zwangslage bestand, bestimmt sich nach sämtlichen Umständen des Einzelfalles. Dabei können auch allein wirtschaftliche Faktoren eine Zwangslage begründen, etwa die ernstliche Gefährdung von Ansprüchen durch eine Insolvenz des Schuldners (BFH vom 14.01.2004, X R 37/02, BStBl II 2004, 493; BFH vom 14.12.2004, XI R 12/04, BFH/NV 2005, 1251; s Geserich, DB 2016, 1953). Der Annahme einer Entschädigung iSv § 24 Nr 1 Buchst a EStG steht es also nicht entgegen, wenn der StPfl unter Druck vertragliche Vereinbarungen zum Ausgleich eines eingetretenen oder drohenden Schadens abschließt. Eine gütliche Einigung schließt eine Zwangssituation demgemäß nicht aus (BFH vom 13.03.2018, IX R 12/17, BFH/NV 2012, 715).
Eine typische Situation ist die Festlegung einer Abfindung für den Verlust eines Arbeitsplatzes in einem Aufhebungsvertrag, wenn das Arbeitsverhältnis zerrüttet ist und eine Kündigung droht. Es begründet einen tatsächlichen Druck und reicht aus, wenn der ArbN aus Loyalität und zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten auf ein Abfindungsangebot des ArbG eingeht (s BFH vom 29.02.2012, IX R 28/11, BStBl II 2012, 569; BFH vom 13.03.2018, IX R 16/17, DB 2018, 1902 betreffend die einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses unter Verzicht auf etwaige Höhergruppierungs- und Gleichbehandlungsbegehren). Tatsächliche Feststellungen, ob der ArbN dabei unter Druck stand, sind in solchen Fällen regelmäßig entbehrlich (BFH vom 13.03.2018, IX R 16/17, DB 2018, 1902).
An einer Zwangslage fehlt es aber, wenn der StPfl freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keine Entscheidung mehr belässt. Die Entwicklung der Ursachenkette muss sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der StPfl nicht rechnen konnte, die also nicht zwangsläufig sind, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr 1 Buchst a EStG relevante Zwangslage herbeiführen. So kann bei einem zunächst freiwilligen Entschluss zum Anteilsverkauf eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen, dass der Erwerber nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen (BFH vom 10.04.2003, XI R 4/02, BStBl II 2003, 748; vom 03.12.2003, XI R 30/02, BFH/NV 2004, 1225). Wird bereits die Veräußerung einer Beteiligun...