Rn. 35f
Stand: EL 164 – ET: 04/2023
Höhe und Endgültigkeit der Verluste im Betriebsstättenstaat müssen dokumentiert werden. Darzulegen ist, dass die zukünftige Nutzung von Verlusten im Betriebsstättenstaat zwar rechtlich noch möglich, tatsächlich jedoch ausgeschlossen ist (vgl Eisendle, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Jahre 11 nach Marks & Spencer, ISR 2016, 37).
Ggf kann auch die Finalität durch Umwandlung oder Verkauf der Betriebsstätte beschleunigt herbeigeführt werden. Hierbei sind jedoch die Schranken des § 42 AO ebenso zu beachten wie die internationalen und nationalen gesetzgeberischen Entwicklungen in Bezug auf Verlustnutzungsmodelle im Zusammenhang mit der aktuellen BEPS-Diskussion (s zB Lüdicke, IStR 2013, 611).
Darüber hinaus verbleibt ein weiter Argumentationsraum für die inhaltliche Ausgestaltung der Kriterien gerade in Anbetracht der wiederholen Änderung der Rspr des EuGH – auch nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "Timac Agro" und in der Rechtssache "W" und der Nichtentscheidung der Mehrheit der Fragen im Vorabentscheidungsersuchen des BFH vom 06.11.2019, I R 32/18, DStR 2020, 2354,
- in welchen Fallgestaltungen ein Besteuerungsverzicht durch DBA oder allein durch nationales Steuerrecht (gehören hierzu auch Aktivitätsklauseln oder Subject-to-tax-Klauseln?) vergleichbar sein können,
- wann ein Auslandsverlust im rechtlichen und tatsächlichen Sinn final ist (zB auch dann, wenn Verluste vorgetragen oder wenn eine neue Betriebsstätte eröffnet wird, mit deren Gewinn die früheren Verluste einer anderen Betriebsstätte verrechnet werden können? – s Vorlagefrage des BFH vom 06.11.2019, I R 32/18, DStR 2020, 2354),
- wie und nach welchem Recht ein Verlust zu ermitteln ist oder
- in welchem VZ er zu berücksichtigen ist.
Der EuGH hat diese Kriterien nicht selbst abschließend bestimmt, musste dies in der Rechtssache "Timac Agro" und in der Rechtssache "W" auch nicht, sondern hat dies der Rspr der nationalen Gerichte überlassen. Die Begründung des EuGH zur Vergleichbarkeit von Auslands- und Inlandskonstellationen erfolgt nicht einheitlich. Zudem ist dogmatisch unklar, ob der EuGH mit den Ausführungen zur Vergleichbarkeit den Rechtfertigungsgrund der Kohärenz ersetzen will. Ob eine Verlustberücksichtigung bei Freistellungsbetriebsstätten zukünftig gänzlich aufgrund der Kohärenz des Steuersystems ausscheidet, ist aufgrund der nicht immer stringenten Argumentation des EuGH bei der Prüfung des Eingriffes in die Niederlassungsfreiheit offen (vgl insoweit auch Kahlenberg, Ist die Figur der finalen Verluste letztlich doch nur ein Mythos?, NWB 2016, 1723; Niemann/Dodos, Verrechnung von "finalen" Auslandsverlusten – auch nach "Timac Agro"!, DStR 2016, 1057; Schnitger, EuGH in der Rechtssache Timac Agro zu finalen ausländischen Betriebsstättenverlusten – War es das bei der Freistellungsmethode?, IStR 2016, 72; Schumacher, Das EuGH-Urteil Timac Agro – Was bleibt von der Rechtsfigur der finalen Verluste übrig?, IStR 2016, 473; zurückhaltend Eisendle, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Jahre 11 nach Marks & Spencer, IStR 2016, 37: keine Verlustberücksichtigung im Inland bei Freistellungsbetriebsstätten, für die rechtlich kein Verlustabzug im Stammhausstaat vorgesehen ist; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 1. Aufl 2018, Rz 90).
Rechtlich umstritten und damit ein unsicherer Weg in der Praxis ist die Alternative, wenn schon nicht über eine Verlustverrechnung im Ansässigkeitsstaat, zumindest über den negativen Progressionsvorbehalt die Betriebsstättenverluste zu berücksichtigen (vgl zum Streitstand, ob § 2a EStG den negativen Progressionsvorbehalt ausschließt: Beck, IStR 2007, 53).
Durch das JStG 2009 wird der Ausschluss des negativen Progressionsvorbehaltes bei nach DBA freigestellten Betriebsstätteneinkünften gesetzlich verankert. Aufgrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt GmbH", IStR 2008, 769, müssen StPfl und ihre Berater beachten, dass der Staat der Ansässigkeit des Stammhauses nicht deshalb an der Nachversteuerung ausländischer Betriebsstättenverluste gehindert ist, weil der Betriebsstättenstaat kein Verlustvortragsrecht kennt oder es zeitlich einschränkt. In derartigen Fällen könnte ggf geltend gemacht werden, dass die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen "Lidl Belgium" und "Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt GmbH" zur symmetrischen Verteilung der Besteuerungsrechte zwischen Ansässigkeits- und Betriebsstättenstaat nicht vollkommen abgestimmt sind. Nach der Entscheidung "Krankenheim" soll es systematisch richtig sein, wenn nach vorheriger Berücksichtigung von Betriebsstättenverlusten im Ansässigkeitsstaat dort auch nachfolgende Betriebsstättengewinne berücksichtigt werden, wenn der Betriebsstättenstaat keinen Verlustvortrag zulässt. Nach der Entscheidung "Lidl Belgium" soll jedoch die Niederlassungsfreiheit verletzt sein, wenn die Verluste weder im Quellenstaat noch im Stammhausstaat berücksichtigt werd...