Rn. 135
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Zweifelhaft ist die Zwangsläufigkeit einer rechtlichen Verpflichtung, wenn der StPfl diese durch sein Verhalten ausgelöst hat, ohne dazu durch außerhalb seiner freien Willensbestimmung liegende Umstände veranlasst oder gezwungen zu sein (s Rn 130). Hier wird man Zwangsläufigkeit jedenfalls dann nicht mehr annehmen können, wenn das Verhalten des StPfl die Verpflichtung zur Tätigung von Aufwendungen gewissermaßen als unmittelbare Gegenleistung auslöst, sodass das eine ohne das andere nicht beurteilt werden kann. Man wird in diesen Fällen schon die Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen zu verneinen haben, da es nichts Außergewöhnliches ist, dass jemand wegen eines solchen Verhaltens die damit üblicherweise verbundenen Aufwendungen machen muss (so zB beim Abschluss von Verträgen und den damit uU verbundenen nachteiligen Folgerungen BFH BStBl II 2017, 276).
Außergewöhnlichkeit und Zwangsläufigkeit gehören zusammen und lassen sich begrifflich nicht immer einwandfrei voneinander trennen.
Beachte im Folgenden die Entwicklung zur Rspr des BFH zu den Prozesskosten.
a) Behandlung von Prozesskosten nach früherer Rspr des BFH
Rn. 136
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Derjenige, der sich bewusst in eine bestimmte Situation begibt und die damit verbundenen Folgen in Kauf nimmt, kann sich – man denke an den Fall der Tilgung von freiwillig eingegangenen Schulden – dann nicht auf deren Zwangsläufigkeit berufen.
Allerdings galt für unvermeidliche und unmittelbare Ehescheidungskosten (wozu auch die Kosten eines Mediationsverfahrens gehören, s FinMin Nds v 15.09.2000, DB 2000, 2143) und Folgekosten diese Betrachtung nicht. Bei den Ehescheidungskosten wurde ähnlich wie auch bei den Krankheitskosten die Zwangsläufigkeit grundsätzlich unterstellt; es durfte also nicht etwa auf die Freiwilligkeit der Eheschließung als Ursache der späteren Scheidung abgestellt werden, die diesbezüglich einmal vertretene Ansicht hatte der BFH richtiggestellt (BFH BStBl II 1982, 116; 1992, 795; im Einzelnen s § 33 Anh 1 "Prozesskosten" Rn 20 (Nacke)). Jedoch wurden nur die unmittelbaren und unvermeidlichen Kosten erfasst. So wurden zB Detektivkosten wegen Beschaffung von Beweismitteln nicht als unmittelbare und unvermeidliche Kosten eines Ehescheidungsprozesses anerkannt (BFH BStBl II 1992, 795). Zu den unvermeidbaren Kosten bei Scheidungsfolgesachen gehörten diejenigen Kosten, die sich auf den sog "Zwangsverband" bezogen (s § 623 ZPO; BFH BStBl II 2006, 491; H 33.1–33.4 EStH 2012 "Scheidung"). Zu den sonstigen Scheidungsfolgekosten s § 33 Anh 1 "Prozesskosten" Rn 21 (Nacke).
Zivilprozesskosten wurden bisher nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig erwachsen ist (BFH BStBl II 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rspr des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess (BFH BStBl II 2004, 726; BFH/NV 2009, 553). Es sei idR der freien Entscheidung der (Vertrags-)Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess-(kosten-)risiko aussetzten. Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rspr Zivilprozesskosten bisher nur an, wenn der Prozess existentiell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte.
b) Prozesskosten als unausweichlicher Aufwand (Rspr-Wandel des BFH)
Rn. 136a
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An dieser Rechtsauffassung hielt der BFH im Zeitraum 2011 bis 2015 nicht länger fest (BFH BStBl II 2011, 1015). Entgegen der bisherigen Rspr sei für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nicht auf die Unausweichlichkeit des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Denn der StPfl müsse, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten. Die Aufwendungen seien daher unausweichlich (zu den Grenzen der Unausweichlichkeit der Beschreitung des Rechtswegs s BFH BStBl II 2013, 536). Unausweichlich sind derartige Aufwendungen nach dieser Auffassung des BFH jedoch nur, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Zivilprozesskosten seien dann nur insoweit abziehbar, als sie
- notwendig sind und
- einen angemessenen Betrag nicht überschreiten (s im Einzelnen BFH BStBl II 2011, 1015; Leistungen der Rechtsschutzversicherung sind iRd Vorteilsausgleichs aber zu berücksichtigen).
Die neue Rechtsauffassung des BFH zu Zivilprozesskosten wurde teilweise in der Literatur auch auf Strafprozesskosten bezogen (Kanzler, FR 2011, 822; Kanzler in H/H/R, § 33 EStG Rz 110, Dezember 2020; s auch BFH BStBl II 2013, 806; 2014, 684, wonach Kosten der Strafverteidigung, die einem wegen einer vorsätzlichen Tat verurteilten StPfl entstanden sind, nicht als ag Belastungen abziehbar sind).
Die neue Rspr hätte auch auf Kosten bzgl Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsverfahren übertragen werden können, da auch dort das staatliche Gewaltmonopol gilt.
c) Änderung der Rechtslage durch das AmtshilfeRLUmsG
Rn. 136b
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Durch das Amtshilfe...